"Die Gelassenheit der Deutschen ist ein Segen"

Seit mehr als drei Jahrzehnten kümmert sich Renate Köcher um die Gemütslage der Deutschen. Die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach gehört zu den bekanntesten Meinungsforschern des Landes. Nach Köchers Einschätzung steht den Bundesbürgern ein spannendes Jahr bevor. Mit Renate Köcher sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

Berlin. (vet) Ausblick auf das Jahr 2009: Meinungsforscherin Renate Köcher äußert sich im TV-Interview über die Wirtschaftskrise und ihre möglichen Auswirkungen auf die Bundestagswahl 2009. TV-Korrespondent Stefan Vetter sprach mit der Chefin des renommierten Instituts für Demoskopie in Allensbach.

Frau Köcher, die Weihnachtsmärkte waren gut besucht, die meisten Deutschen haben kräftig konsumiert. Sind die derzeit düsteren Wirtschaftsaussichten für die Menschen weit weg?

Renate Köcher: Für die Mehrheit der Bevölkerung sind die täglichen Hiobsbotschaften tatsächlich noch virtuell. Die meisten Beschäftigten spüren davon zurzeit nichts in ihren Betrieben. Nur jeder dritte Berufstätige berichtet, dass sich die Krise in seinem Unternehmen bemerkbar macht.

Normalerweise lassen sich die Deutschen schnell verunsichern. Was ist diesmal anders?

Köcher: Anders ist vor allem, dass viele in diesem Jahr eine deutliche Verbesserung ihrer Situation erlebt haben - durch die gesunkene Arbeitslosenquote, durch die wieder stark gesunkenen Energiepreise und natürlich auch durch höhere Lohnabschlüsse. Insofern bildet die objektive Lage der Menschen gegenwärtig einen auffallenden Kontrast zum Auftragseinbruch vieler Unternehmen.

Kann die Fülle der Krisenmeldungen auch abstumpfen?

Köcher: Das glaube ich nicht. Die große Mehrheit weiß, dass sich die Konjunktur negativ entwickelt und rechnet auch mit wieder steigender Arbeitslosigkeit. Sie sehen aber in ihrem Umfeld, dass die Lage nicht überall so negativ ist, wie es die tägliche Nachrichtenlage suggeriert. Die Gelassenheit der Bevölkerung ist ein Segen, denn durch ihre Konsumfreude trägt sie zurzeit wesentlich dazu bei, dass sich die rezessiven Tendenzen nicht wesentlich dynamischer bemerkbar machen.

Der konjunkturelle Absturz fällt genau ins Jahr der nächsten Bundestagswahl. Gab es schon mal eine vergleichbare Situation?

Köcher: Es ist eine besonders dynamisch verlaufende und heftige Rezession, auch dadurch bedingt, dass dieser Prozess weltweit synchron abläuft. Aber man muss auch bedenken, dass wir von einem ganz anderen wirtschaftlichen Niveau kommen als in früheren Zeiten. Insofern ist auch die Fallhöhe größer.

Ist die Wirtschaftskrise ein Problem für alle Parteien?

Köcher: Sie ist natürlich primär ein Problem für die Regierung und die sie tragenden Parteien. Aber wenn die Stabilisierung der Wirtschaft alle anderen Themen in den Schatten stellt, dann nützt das erfahrungsgemäß der CDU/CSU am meisten, weil ihr mit Abstand die größte Wirtschafts-Kompetenz zugebilligt wird.

Gibt es dafür aktuelle Belege?

Köcher: Nach unserer jüngsten Umfrage traut die Bevölkerung weitaus eher Angela Merkel als dem SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier zu, dass sie zur Bewältigung der Krise beitragen kann.

Und die Linke könnte vom Abschwung nicht profitieren?

Köcher: Die Linke ist seit längerem in den Umfragen stabil. Das spricht nicht dafür, dass ihr die wachsenden Konjunkturängste scharenweise Wähler zutreiben. Wenn die Verunsicherung zunimmt, dann geht es den Leuten in erster Linie um die Frage, wem sie am ehesten zutrauen, die Probleme zu bewältigen. Und das ist nicht die Linkspartei.

Warum verblasst die SPD bei der Krisenbewältigung?

Köcher: Die SPD bewegt sich beim Wählerzuspruch schon länger in einem engen Korridor zwischen 25 und 27 Prozent. Sie geht in einer schlechteren Verfassung aus dem Jahr 2008 heraus, als sie hineingegangen ist. Sie gilt seit der Hessen-Wahl als zerstritten und wird zurzeit von der Bevölkerung als Partei empfunden, von der kaum Impulse und Kraft ausgehen.

Kann sich das Blatt für die SPD bis zur Bundestagswahl noch wenden?

Köcher: Schwierig. Gerade in der Auseinandersetzung mit der Linken ist es für sie ein Handicap, in der Regierungsverantwortung zu sein. Dadurch kann die SPD nicht ständig fordernd auftreten, anders als die Linke in der Opposition.

Ihr Fazit für das ausgehende Jahr?

Köcher: Ein Jahr der Wechselbäder. Ins Jahr 2008 ist die Bevölkerung mit großen Hoffnungen gegangen. Jetzt dominiert Skepsis. Auf alle Fälle wird 2009 ein spannendes Jahr voller Herausforderungen. wil/cju

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