Politik Die Grünen zwischen Aufbruch und Drama

Berlin · Die Partei wählt eine neue Führung. Überraschungen sind dabei nicht ausgeschlossen.

 Robert Habeck.

Robert Habeck.

Foto: dpa/Carsten Rehder

 Nach dem Rückzug von Simone Peter und Cem Özdemir stehen die Grünen vor einem personellen Neuanfang. Auf dem am Freitagabend beginnenden Bundesparteitag in Hannover entscheidet sich, wer sie in den nächsten zwei Jahren führen wird. Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.

 Bundesgeschäftsführer Michael Kellner malte das anstehende Delegiertentreffen naturgemäß in den rosigsten Farben: Der Parteitag stehe ganz „im Zeichen des Aufbruchs und der Erneuerung“. Dabei sind Personalfragen, zumal bei den Grünen, immer mit Unwägbarkeiten behaftet. Im konkreten Fall kommt noch hinzu, dass zwei zentrale grüne Prinzipien auf dem Spiel stehen.

 Für die zwei frei werdenden Chefposten gehen drei Kandidaten ins Rennen. Schon im Dezember hatte der schleswig-holsteinische Umweltminister und Vize-Regierungschef Robert Habeck seinen Hut in den Ring geworfen. Der 48 Jahre alte gebürtige Lübecker gilt vielen in der Partei als Hoffnungsträger, weil er bei den Leuten gut ankommt und die Grünen für ein breiteres Publikum wählbar machen will. „Ich weiß, dass wir mehr sein können als eine Neun-Prozent-Partei“, heißt es in seinem Bewerbungsschreiben. Und, dass es nicht reiche, „nur im eigenen Milieu Applaus zu bekommen“.

Ebenfalls schon länger bekannt ist die Bewerbung der brandenburgischen Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock. Die 37 Jahre alte gebürtige Hannoveranerin ist eine profilierte Umweltpolitikerin und sieht sich selbstbewusst als „Vertreterin für die Gesamtpartei“. Zuletzt kam noch die Kandidatur der Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, Anja Piel, hinzu. Piel ist 52 und wie Habeck in Lübeck geboren. Sie wirbt mit einer dezidiert linken Ausrichtung um die Gunst der Delegierten. „Wenn es um Gerechtigkeit geht, geht es immer auch um Umverteilung“, erklärte Piel.

 Hier kommen die Prinzipien ins Spiel. Bislang wurde die Parteispitze nicht nur nach Geschlechter-Proporz bestimmt. Entscheidend war stets auch die Flügelarithmetik. Peter stand, wenn auch nur wenig erfolgreich, für das linke Lager, Özdemir für die Realos. So gesehen bräuchte sich Anja Piel keine Sorgen zu machen. Denn im Kandidaten-Trio ist sie die einzige Linke. Viele in der Partei wünschen sich aber einen Neuanfang mit frischen, unverbrauchten Gesichtern. Den beiden Realos Baerbock und Habeck werden daher die besseren Wahlchancen eingeräumt.

 Aber vielleicht kommt es doch ganz anders. Soll Habeck neuer Grünen-Chef werden, müsste die Partei nämlich noch mit einer anderen Spielregel brechen. Ursprünglich hatte sich Habeck „Pi mal Daumen“ ein Jahr Übergangszeit ausbedungen, um seinen Minister-Laden in Kiel geordnet zu übergeben. Eine zeitweilige Doppelrolle als Minister und Parteichef lässt die grüne Satzung aber bislang nicht zu. Mit einiger Spannung wird daher die für den späteren Freitagabend anberaumte Debatte über mehrere Anträge erwartet, nach denen Habeck sein Regierungsamt wahlweise noch drei, acht oder 12 Monate lang behalten könnte. Habeck, so heißt es, könnte auch mit acht Monaten leben. Das Problem: Für jede Satzungsänderung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Und ob die zustande kommt, ist ungewiss. Im linken Flügel herrscht jedenfalls Unmut über Habecks Vorbedingung. „Schade, dass wir auf diese Weise eine Satzungsdebatte bekommen“, meinte etwa der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick. „Ich finde ein Drittel der Amtszeit als Übergangsfrist merkwürdig“.

 Sollte eine Satzungsänderung tatsächlich scheitern und Habeck seine Bewerbung zurückziehen, würden die Karten ganz neu gemischt. Dann, so heißt es, könnte auch Bundesgeschäftsführer Kellner für den Chefposten antreten. Er ist ein linker Flügelmann. Im Falle eines Duos Baerbock/Kellner wären dann alle grünen Regeln wieder eingehalten. Ob sich das Drama dann noch als Aufbruch verkaufen ließe, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort