"Die Idee, für andere da zu sein, ist hinreißend"

Trier · Schwester Antonie Hamm lebt seit 20 Jahren im Haus Franziskus in Trier. Mit 19 Jahren ist sie bei den Waldbreitbacher Franziskanerinnen eingetreten. Sie trägt keine Ordenstracht und bestimmt ihre Gebetszeiten selbst.

Trier. "Dieses Haus hat eine eigene Dynamik", erzählt Schwester Antonie Hamm. Sie ist eine von zwei Ordensschwestern der Waldbreitbacher Franziskanerinnen, die im Haus Franziskus in Trier leben und arbeiten. Sie sitzt oben in der kleinen Bibliothek des Hauses und erzählt aus ihrem Leben und von ihrer Arbeit. Währenddessen spielen ein Stockwerk tiefer, im Tagescafé, ein paar Leute Karten, aus dem Zimmer von nebenan ist Gitarrenmusik zu hören. Gerade ist eine Gruppe von Leuten dabei, Kräuter zu sammeln, aus welchen sie später im Kutscherhaus nebenan Säfte machen wird.
Während sie spricht, wird einem klar: Das Besondere an diesem Ort ist nicht das Haus. Es sind die Menschen, die in ihm leben - wie Schwester Antonie Hamm seit mehr als 20 Jahren. Und es sind die Menschen, die Tag für Tag in dem Haus ein- und ausgehen, die zwar nur Gast, aber deshalb vielleicht nicht weniger dort zu Hause sind.
Beim Gottesdienst in der hauseigenen Kapelle, beim Freitagsstreitgespräch oder einfach nur beim Kaffee trinken - im Haus Franziskus begegnen sich Menschen. "Ich kenne hier jeden - innen wie außen", sagt Schwester Antonie Hamm. "Wir versuchen, mit den Menschen ihre Probleme zu tragen, die Dramatik des Lebens hier ein bisschen abzufangen", erklärt sie. "Das ist kein einfacher Job, und ohne Gott ist das nicht zu packen."
Schwester Antonie Hamm ist 83 Jahre alt. Sie hat 13 verschiedene Berufe ausgeübt, in der Kirchenmusik, im Kindergarten, im Krankenhaus. In Köln hat sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin gemacht. Bevor sie vor 20 Jahren ins Haus Franziskus kam, ist sie innerhalb ihres Ordens 26 Mal versetzt worden. Einst wollte sie Architektin werden - wie ihr Vater. Aber dann entschied sie sich für einen anderen Weg: Mit 19 Jahren ist sie bei den Waldbreiterbacher Franziskanerinnen eingetreten. "Meine Familie war katholisch, aber nicht auffällig katholisch", erklärt sie. Aber für sie sei es eine Selbstverständlichkeit gewesen, zur Kirche zu gehen - "immer morgens nach meinem Waldlauf." Der Wunsch, in ein Kloster einzutreten, sei nicht zuletzt verbunden gewesen mit dem, was sie in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt habe, erzählt sie. "Da war ich mit so viel Elend konfrontiert."
Vielleicht wählt sie deshalb damals ein geistiges Vorbild, mit dem sie bis heute, wie sie sagt, "noch nicht fertig" ist: Mutter Rosa, deren bürgerlicher Name Margaretha Flesch lautet, ist die Gründerin der Waldbreitbacher Franziskanerinnen. Seit Jahren beschäftigt sich Schwester Antonie Hamm mit der Geschichte dieser Frau, die in Feld- und Heimatlazaretten verwundete Soldaten gepflegt und gesagt hat: "Ich will schlicht und einfach unter den Menschen leben" - "ein Schlüsselwort für uns", erklärt Schwester Antonie Hamm.
Ihr gewähltes Leben sei "eine Einschränkung und eine Bereicherung zugleich." Bei der Frage nach zwischenmenschlichen Beziehungen erinnert sie sich an ein Erlebnis, als sie als junge Schwester in einem Bonner Krankenhaus gearbeitet hat. Da habe ein Arzt ihr "Andeutungen gemacht". Gesagt hat sie ihm das: "Wenn Sie einmal mit dem Herrgott angefangen haben, können Sie es nicht mehr lassen."
Aber diese geistige Beziehung müsse auch gepflegt werden, sagt sie. In Bezug auf Gebetszeiten sind die zwei Schwestern völlig ungebunden, "eben, wie wir es uns selbst wünschen. Aber natürlich feuern wir uns gegenseitig an!" Jedes Leben habe ein Auf und Ab, sagt Schwester Antonie Hamm, auch in ihrer Gemeinschaft. "Wichtig ist: Wir stützen uns gegenseitig, werden uns aber auch nicht lästig."
Dass die Zahl der Schwestern sich immer mehr verkleinert, sieht Schwester Antonie Hamm nicht allzu tragisch. "Die Idee, für andere da zu sein, ist hinreißend", sagt sie.
"Und das ist auch wieder am Aufblühen." Davon ist sie überzeugt. Jungen Schwestern könne sie nur raten, sich einfach mal auf Gott einzulassen. "Etwas Spannenderes kann es nicht geben."
Ein Habit, eine Ordenstracht, trägt Schwester Antonie Hamm nicht. Sie erinnert sich an ihre erste Zeit in Trier: "Da sind mir entgegenkommende Leute vom Bürgersteig herunter, um mir und meinem Gewand Platz zu machen. Da dachte ich, da stimmt doch etwas nicht." Sie war die erste der Schwestern, die dann in Zivil gegangen ist. "Und seit den 60er Jahren ist bei uns nun festgelegt, dass das jeder so machen kann, wie er will." Schwester Antonie Hamm hat sich dafür entschieden, so zu leben, wie das geistige Vorbild es gefordert hat: Schlicht. Einfach. Unter den Menschen. eib

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