Die Kapitulation

Bei Regierungspolitikern hat sich die Unsitte eingeschliffen, die Welt so schön zu reden, wie man sie gerne hätte. Allzu lange haben die SPD-Granden Franz Müntefering und Gerhard Schröder geglaubt, ihre für richtig gehaltenen Reformen würden Früchte abwerfen und das Blatt noch wenden.

Bei Regierungspolitikern hat sich die Unsitte eingeschliffen, die Welt so schön zu reden, wie man sie gerne hätte. Allzu lange haben die SPD-Granden Franz Müntefering und Gerhard Schröder geglaubt, ihre für richtig gehaltenen Reformen würden Früchte abwerfen und das Blatt noch wenden. Nun, da sie das Wahldesaster im SPD-"Herzland" Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis nehmen mussten und vor den Trümmern ihrer Politik stehen, reagieren sie mit einer Verzweiflungstat: Das Anstreben von Neuwahlen ist nichts anderes als Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Doch selbst in dieser ausweglosen Situation sind die Chefgenossen nicht bereit, grundsätzliche Fehler oder einen falschen Kurs zuzugeben. Im Gegenteil: Trotzig beharren sie auf der Behauptung, ihre Politik sei richtig – bloß die widrigen Umstände seien schuld an der Misere. Noch erstaunlicher ist indes das Verhalten der Parteimitglieder, die sich dem Anschein nach (fast) alles gefallen lassen: Erst den unerklärten Kurswechsel von links nach halbrechts im Jahre 1999; dann die komplette Neuausrichtung der Sozialdemokratie, wie sie im Schröder/Blair-Papier zum Ausdruck kam; schließlich die Hinwendung zu einer Politik, wie sie der politischen Philosophie von Union und FDP entspricht. Und nun das merkwürdige Manöver, das "strukturelle Patt" zwischen Bundestag (rot-grüne Mehrheit) und Bundesrat (schwarz-gelbe Mehrheit) mit Neuwahlen auflösen zu wollen. Da der Bundeskanzler keine Anstalten macht, seine in den Augen der Bevölkerung gescheiterte Politik zu korrigieren, muss sein Schritt als Kapitulation gewertet werden. Schröder weiß, dass er die Schlacht im Herbst nicht (mehr) gewinnen kann, dass seine Truppen demotiviert und ausgelaugt sind, dass selbst ein Wunder nicht mehr weiter hilft: Auch ein neuerlicher rot-grüner Überraschungssieg würde an dem "strukturellen Patt" nichts ändern. Deshalb wickelt Schröder, dem immerhin Respekt zu zollen ist für die Abkürzung der politischen Lähmung in Deutschland, nunmehr die Geschäfte ab: Er will sich einen halbwegs anständigen Abgang verschaffen und erhobenen Hauptes von der Bühne gehen. Ob dies gelingt, ist eine andere Frage. Denn einiges spricht dafür, dass die Wahl im September mit einer Demütigung für Schröder, Müntefering und das gesamte rot-grüne Projekt enden wird. Die Nachfolge im Kanzleramt ist praktisch geklärt. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kommt nun früher ans Ziel ihrer Wünsche, daran ist ernsthaft nicht zu zweifeln. Und wer jetzt meint, mit der Wiederauflage der bürgerlichen Koalition würde sich die Republik in eine neoliberale Richtung verändern, erliegt einem Irrtum. Bereits seit Jahren praktiziert Schröder eine Politik, die sich nur in Nuancen von derjenigen der Union unterscheidet. Zudem kann auch die Union nicht zaubern, muss sie vielmehr den Gegebenheiten Rechnung tragen. Immerhin dürfen die mutmaßlich künftigen Wahlsieger die Unterstützung der Wirtschaft erwarten, die ihre Investitionszurückhaltung wohl aufgeben wird. Insofern liegt im Regierungswechsel auch eine Chance – die aber nur dann zum Segen der Nation gereicht, wenn der Charakter der sozialen Marktwirtschaft erhalten bleibt. nachrichten.red@volksfreund.de

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