Die kranke Reform

BERLIN. Die große Koalition hatte sich schon im März vor ihrem Scheitern gewarnt. SPD-Fraktionschef Peter Struck meinte damals: Wenn Schwarz-Rot bei der Gesundheitsreform versagt, "dann haben wir es nicht verdient, weiterzuregieren". Mit der überraschenden Verschiebung des Prestige-Vorhabens könnten Union und SPD diesem Szenario ein Stück näher gekommen sein.

Für sich betrachtet ist eine dreimonatige Verspätung nicht weiter tragisch. Gepaart mit der Dimension des Projekts mehren sich allerdings die Zweifel an seiner Umsetzbarkeit. Wenn Angela Merkel geglaubt haben sollte, ihre Entscheidung bringe Ruhe in den politischen Laden, dann hat sie sich gründlich getäuscht. Nicht nur die zahlreichen Lobbygruppen schöpfen neue Hoffnung, die Festung sturmreif schießen zu können. Auch in den eigenen Reihen wird kräftig gezetert. Plötzlich will Saarlands CDU-Regierungschef Peter Müller das Gesundheitswesen verstärkt über Steuern finanzieren. Dabei hatte gerade die Union für eine Schrumpfung des Steueranteils gesorgt. Aus der SPD wiederum kommt die Idee, den Arbeitgeber auch beim Zusatzbeitrag zu beteiligen. Dabei sollten langfristig die Lohnnebenkosten minimiert werden. So entsteht der Eindruck, dass die Reform zunehmend zerbröselt. Immerhin war das Dilemma absehbar. Schon in der Koalitionsvereinbarung ist nachzulesen, dass sich die gesundheitspolitischen Vorstellungen beider Partner "nicht ohne Weiteres miteinander vereinbaren lassen". Dann kam der Gesundheitsfonds. Und die Koalitionsspitzen waren sich sicher, den Stein der Weisen gefunden zu haben.Der Fonds dient nur zur Gesichtswahrung

Je mehr Zeit ins Land ging, desto mehr wuchs jedoch das Unbehagen. Heute steht fest: Der Fonds dient ausschließlich der politischen Gesichtswahrung von Union und SPD. Mit ein paar kleineren Umbauten ließe sich der Fonds schnell auf Bürgerversicherungsniveau heben, was die Genossen wollen, aber auch in Richtung Kopfpauschale trimmen, wie es den C-Parteien vorschwebt. Dass der Fond ursprünglich als Instrument für mehr Wettbewerb zwischen den Kassen gedacht war, ist längst in Vergessenheit geraten. Nach den Eckpunkten der Reform soll es sogar weniger Wettbewerb geben. Denn die SPD hat durchgesetzt, dass der schon erwähnte Zusatzbeitrag, den die Kassen neben dem staatlich festgelegten Einheitsbeitrag erheben müssen, bei einem Prozent des Versicherteneinkommens gedeckelt ist. Wer also 1000 Euro im Monat verdient, kann mit maximal zehn Euro zusätzlich belastet werden. Allein bei den Betriebskrankenkassen liegt die Beitragsspanne aber schon heute bei fast vier Prozent. Die billigste BKK verlangt 11,8, die teuerste 15,5 Prozent Beitrag. Auch wurde die zentrale Geldsammelstelle mit dem Argument gerechtfertigt, dass die Privatversicherten in die Finanzierung des gesetzlichen Systems einbezogen werden. Doch das hat die Union verhindert. Und schließlich galt der Fonds als ideales Instrument, um zu einem besseren Finanzausgleich für Kassen mit besonders vielen und teueren Kranken zu kommen. Weil das aber nur schwerlich zu realisieren ist, soll der Fonds nun weit vor dem Finanzausgleich in Kraft treten. Fazit: Kein Mensch kann erklären, wie dieses Instrument das Gesundheitswesen therapieren soll. Es ist schlicht überflüssig. Dies umso mehr, als die Beiträge trotzdem steigen anstatt zu sinken, wie es Angela Merkel in Aussicht gestellt hatte. Schwarz-Rot sollte das selbst geöffnete Zeitfenster besser dazu nutzen, die hoffnungsvollen Ansätze der Reform-Eckpunkte auszubauen. Es geht um mehr Wahlfreiheit für die Versicherten, um Einzelverträge zwischen Kassen und Ärzten sowie Krankenhäusern, aber auch um verstärkte Kosten-Nutzen-Kontrollen bei Arzneien. Das spart Geld und macht das System effektiver. Weil der Fonds das angebliche "Herzstück" der Reform bildet, dürfte die Koalition allerdings in irgendeiner Form daran festhalten. Zu befürchten ist ein Placebo, das den gesundheitspolitischen Herausforderungen Hohn spricht. In diesem Falle wäre es tatsächlich besser, Schwarz-Rot würde Strucks Worte beherzigen und das Handtuch werfen.

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