Die Krisenkanzlerin ist wieder zurück

Berlin · Bundeskanzlerin Merkel hat Russland in ihrer Regierungserklärung mit Sanktionen gedroht. Sie nannte Putins Vorgehen auf der ukrainischen Halbinsel am Donnerstag "völkerrechtswidrig".

Berlin. Angela Merkel erlebt im Bundestag ein seltenes Glück: Während ihrer Regierungserklärung zur Krim-Krise und der Lage in der Ukraine klatschen bei einer Passage nicht nur die oppositionellen Grünen, sondern vereinzelt sogar ein paar Linke. "Ein militärisches Vorgehen ist keine Option", lautet der Satz der Kanzlerin, der fast einhellig von den Abgeordneten mit Beifall unterstützt wird. Das ist Merkels zentrale Botschaft an die vielen Bürger, die Angst haben, dass der Konflikt mit Russland außer Kontrolle geraten könnte. Merkel beruhigt. Merkel fordert in ihrer Rede aber auch, sie droht und macht zugleich Türen auf - die Krisenkanzlerin ist zurück.
Im dunklen Hosenanzug betritt sie das Parlament. Wählt sie eine solche Farbe, ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie den Anlass ihrer Erklärung selbst als besonders wichtig empfindet. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt: Die Augen der internationalen Gemeinschaft ruhen an diesem frühen Morgen auf dem deutschen Parlament. Denn die Kanzlerin ist die einzige aus dem Kreis der Mächtigen, die noch Einfluss auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin hat. Merkel, die Russland- und Putin-Versteherin. Für sie ist dieser Druck nichts Neues. In der Eurokrise blickte ganz Europa auf die Frau aus der Uckermark, sie drückte den Krisenländern bei der Bewältigung des Schuldendramas ihren Sparkurs auf. Diesmal geht es aber um noch mehr: Es geht um die Verletzung des Völkerrechts, vielleicht sogar um Krieg und Frieden. Auf der Zuschauertribüne hört der ukrainische Botschafter Pavlo Klimkin genau zu.
Die Kanzlerin betont, Europa sei in einer "spannungsgeladenen und gefährlichen Situation". Russland habe sich nicht als Partner Europas erwiesen, sondern die "Schwäche" der Ukraine ausgenutzt und die staatliche Einheit des Landes "ganz offen in Frage gestellt und verletzt". Moskau sei damit in Zeiten der Konflikte "um Einflusssphären und territoriale Ansprüche" zurückgefallen. In der globalisierten Welt ließen sich Interessenkonflikte aber nicht mehr dadurch überwinden, dass man sich der Muster des 19. und 20. Jahrhunderts bediene. Keiner wünsche sich, dass die von der EU geplanten Sanktionen umgesetzt würden. "Doch wir alle wären zu ihnen bereit", droht Merkel. Entschlossene Worte sind das.
Sie fordert Moskau noch einmal zu Verhandlungen "mit Resultaten" auf.
Merkel macht Angebote - und ködert Putin: Beispielsweise bietet sie neue Wirtschaftsabkommen an. Immer wieder erhält sie auch Applaus aus den Reihen der Opposition. Die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl twittert: "Ausnahmsweise eine Regierungserklärung, an der ich als Grüne wenig kritisieren kann." Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sieht das jedoch anders: Er analysiert die Fehler des Westens in der Ukraine. EU und Nato seien mitschuldig an der Eskalation. So sei die Aufnahme osteuropäischer Staaten in das Militärbündnis "ein schwerer Fehler" gewesen. Zugleich betont Gysi aber, dass eine Abtrennung der Krim "völkerrechtswidrig" wäre. Er kritisiert den Umgang der Bundesregierung mit den rechten Kräften in der ukrainischen Regierung. Dort seien zahlreiche "Faschisten" vertreten.
Der Linke erinnert außerdem daran, dass der Westen im Fall des Kosovo-Konflikts ebenfalls das Völkerrecht verletzt habe. Das ist ein heikler Punkt, es gibt lauten Widerspruch im Parlament. Ex-Kanzler Gerhard Schröder hat ebenfalls so argumentiert. Merkel ist darüber eindeutig empört, sie nennt diesen Vergleich "beschämend".
Bleibt die Frage, was passiert, wenn die Krim sich am Sonntag zwar für Russland entscheidet, Putin anschließend aber alle Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach Gesprächen erfüllt? Wie dann reagieren? Der CDU-Politiker Hans-Georg Wellmann erwähnt in seiner Rede diesen wichtigen Aspekt. Darauf hat auch Merkel keine Antwort.Meinung

Kein neuer kalter Krieg
Das deutsche Parlament ist, das zeigte sich gestern in der Debatte über Angela Merkels Regierungserklärung zur Krim-Krise, in seiner großen Mehrheit auf striktem Deeskalationskurs. Oder, wie die Kanzlerin sagte: Man muss heutige Konflikte mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts lösen, nicht mit denen des 19. oder 20. Die große Mehrheit wünscht sich einem diplomatischen Ausweg, keiner ruft nach einer militärischen Antwort. Weil jedoch der Frömmste in Frieden nicht leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt, gehört zu einer Lösung auch der Druck abgestufter Wirtschaftssanktionen. Das ist die gemeinsame Linie. Putin kann, sofern er sich darüber unterrichten lässt, aus der Debatte im Reichstag also folgende Botschaft entnehmen: In Deutschland will niemand einen neuen Kalten Krieg, sondern Russland als Partner. Die Hand bleibt ausgestreckt. nachrichten.red@volksfreund.deExtra

Im Konflikt mit Russland hat die Ukraine eine Nationalgarde mit bis zu 60 000 Mann gegründet. Die Truppe werde hauptsächlich aus Freiwilligen der sogenannten Maidan-Selbstverteidigungskräfte bestehen, sagte der Chef des Nationalen Sicherheitsrats, Andrej Parubij, am Donnerstag in Kiew. Aufgabe der Garde mit Mitgliedern zwischen 18 und 50 Jahren sei etwa die Sicherung der Grenzen. Wenige Tage vor dem umstrittenen Referendum zum Status der Halbinsel Krim verstärkte Russland seine Militärübungen. Bei einem Manöver ließ das Verteidigungsministerium in Moskau insgesamt 12 500 Soldaten aufmarschieren, davon rund 4000 nahe der Grenze zur Ukraine. dpa

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