"Die Menschen sehnen sich wieder nach Religion"

Am Mittwoch beginnt in Hamburg der Evangelische Kirchentag. Präsident ist der Trierer Rechtsprofessor Gerhard Robbers, der so bekannte Vorgänger hat wie Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker oder Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. Mit Gerhard Robbers sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

Was ist das Besondere an diesem Kirchentag, was unterscheidet ihn von Vorgängerveranstaltungen?
Robbers: Es gibt immer wieder neue Themen und Herausforderungen. Der diesjährige Kirchentag lebt besonders aus der gastgebenden Stadt heraus, weil man viele Themen, die wir ansprechen, hier in Hamburg auch erleben kann.
Eines dieser Themen ist der der interreligiöse Dialog: Warum ist Ihnen dieses Thema wichtig?
Robbers: Es ist in Deutschland und Europa eine der zentralen Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte. Wir haben eine intensive Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen mit anderen Religionen. Es ist wichtig, dass wir die Chancen sehen, die damit einhergehen. Damit müssen wir uns offen und zuversichtlich auseinandersetzen.
Driften die verschiedenen Religionen nicht immer weiter auseinander, während die Ressentiments gleichzeitig zunehmen?
Robbers: Das sehe ich mit einer gewissen Sorge. Dagegen muss man angehen, indem wir etwa schauen, wo die Gemeinsamkeiten sind. Es ist hinderlich und sogar gefährlich, wenn nur die Unterschiede betont werden.
Ist es Zufall oder Absicht, dass der Kirchentag am Tag der Arbeit beginnt?
Robbers: Zufall. Aber wir nehmen das gerne auf und versuchen, beim Kirchentag ein besseres Verhältnis zu den Gewerkschaften zu bekommen. Es hat in der Vergangenheit Konfrontationen gegeben. Dabei haben wir beide die gemeinsame Aufgabe, uns um die zu kümmern, die es nicht so dicke haben.
Es geht beim Kirchentag auch um verantwortungsvolles Wirtschaften. Was verstehen Sie darunter?
Robbers: Wir müssen die Ziele und Methoden von Wirtschaft neu entwickeln. Es geht nicht an, dass Menschen hungern müssen, weil die Preise durch Lebensmittelspekulationen steigen. Und wir müssen fragen, ob Unternehmen immer nur Geldmaximierung betreiben wollen. Oder ob es für die Wirtschaft noch andere, tiefer greifende Ziele gibt.
Können Sie das noch etwas präzisieren?
Robbers: Es gibt schon große Unternehmen, die sich fragen, wie sie bilanzieren sollen. Ob sie nur geldwerte Dinge bilanzieren oder beispielsweise auch die Nachhaltigkeit, mit der sie wirtschaften. In einigen Vorstandsetagen wird auch schon darüber diskutiert, ob die Zufriedenheit von Menschen bilanziert werden kann. Diese Diskussion wollen wir aufnehmen.
Der Kirchentag steht unter dem Motto "Soviel du brauchst": Was verstehen Sie unter dieser Überschrift?
Robbers: Die Kirchentagslosung stammt aus dem zweiten Buch Mose im Alten Testament. Sie drückt zum einen die Zuversicht aus, dass es schon werden wird. Andererseits auch die Mahnung, nur das zu verbrauchen, was man wirklich braucht, beispielsweise in bezug auf Umwelt und Ressourcen.
Man hat den Eindruck, dass Religion an Bedeutung verliert. Sie aber sagen: Genau das Gegenteil ist der Fall. Wie kommen Sie zu dieser Feststellung?
Robbers: Die Menschen sehen, wie wichtig Religion ist. Menschen suchen nach Sinn, fragen danach, was ihr Leben ausmacht. Viele Menschen treibt das um, aber es wird oft nicht richtig darauf geantwortet. Und deswegen ist die Vorstellung verbreitet, dass Religion weniger wichtig ist. Mein Eindruck ist, dass die Säkularisierungswelle abgeebbt ist und sich ins Gegenteil verkehrt.
Bis Sonntag werden mehrere Hunderttausend Kirchentagsbesucher erwartet. Was sollen sie als Inspiration oder Botschaft nach Hause mitnehmen?
Robbers: Dass so viele kommen, zeigt: Die Menschen sehnen sich nach Religion. Sie werden vom Kirchentag inspiriert, bekommen einen neuen Schub für das Leben zu Hause. sey
Interview im Originalton unter volksfreund.de/extra
Extra

Gerhard Robbers (62) ist seit 1989 Professor für Öffentliches Recht, Kirchenrecht, Staatsphilosophie und Verfassungsgeschichte an der Universität Trier. Seit fünf Jahren ist der vierfache Vater auch Richter am rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof. seyExtra

Zum Deutschen Evangelischen Kirchentag kommen alle zwei Jahre in einer anderen Stadt weit über 100 000 Protestanten zusammen. Im Mittelpunkt des fünftägigen Treffens stehen Bibelarbeiten, Gottesdienste und Podiumsdiskussionen zu aktuellen kirchlichen, sozialen und politischen Themen. Daneben gibt es ein reichhaltiges Kulturprogramm. Die Kirchentage, die sich vor allem als Forum für Laien verstehen, sollen Christen zusammenführen und im Glauben stärken. Aus dem Kirchenkreis Trier sind 150 Gläubige in Hamburg dabei. Die meisten davon sind Jugendliche, die älteste Teilnehmerin aus der Region ist 78 Jahre alt. Der Evangelische Kirchenkreis Trier ist der flächengrößte im Rheinland. Er ist in etwa deckungsgleich mit dem ehemaligen Regierungsbezirk Trier. In den 22 Kirchengemeinden leben 56 000 evangelische Christen. Das entspricht etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Eine Diaspora-Situation, sagen die Protestanten selbst. sey

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