Die Notarin, der Vertrag und ein insgesamt gutes Jahr: Die ersten 365 Tage große Koalition

Berlin · Heute ist die große Koalition seit 365 Tagen im Amt. Sie hat schon einen Großteil ihres Regierungsprogramms abgearbeitet. Von Mütterrente bis Mindestlohn, von Maut bis Mietpreisbremse. Die Frage wird sein, womit sie sich die nächsten drei Jahre beschäftigen will - oder kommt jetzt Streit?

Anzeichen für einen Streit gibt es. Bisher aber vertraut die Bevölkerung dieser Regierung. Allerdings nur die CDU als Kanzlerin-Partei heimst dafür die Punkte ein. Pech für die SPD. Unser Korrespondent Werner Kolhoff hat die Performance der Stars und der Mitläufer im Kabinett zusammengefasst:

Angela Merkel (CDU): Sie ist die Notarin des Koalitionsvertrages. Sorgt dafür, dass alle Kompromisse auch eingehalten werden. Eigene Gestaltung? Fehlanzeige. Das war schon in den Koalitionsverhandlungen so. Heimst aber die Erfolge ein. Eine echte Leistungsträgerin ist sie in der Außenpolitik. Hart, aber besonnen gegenüber Putin, Antreiberin von Reformen in der EU.

Frank-Walter Steinmeier (SPD): Ist in der Außenpolitik Merkels kongenialer Partner, beide zusammen sind ein Dreamteam. Zeigt einen unglaublichen physischen Einsatz und viel Fingerspitzengefühl. Steinmeier ist die personifizierte gewachsene Verantwortung Deutschlands in der Welt. Versucht alles, um Konflikte diplomatisch zu lösen. Nicht immer erfolgreich, aber dafür kann er nicht.

Wolfgang Schäuble (CDU): Die schwarze Null steht: Der Bund macht im nächsten Jahr zum ersten Mal seit 1969 keine neue Schulden. Das hat Schäuble zäh verteidigt. Bei den Steuern hat sich der Finanzminister dagegen selbst in eine Falle manövriert: Keinerlei Steuererhöhung bedeutet auch keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten. Bisher nicht mal beim Abbau der Kalten Progression.

Sigmar Gabriel (SPD): Er hat die SPD mit der Großen Koalition versöhnt und sorgt dafür, dass sie sich nicht als bloßer Juniorpartner fühlt, sondern ruhig mitregiert. Hat zudem die EEG-Reform gemeistert. Allerdings: seine industriefreundliche Politik und sein Nein zur Vermögenssteuer sorgen für innerparteilichen Verdruss. Muss bald bessere Umfragewerte liefern.

Ursula von der Leyen (CDU): Die einstige Senkrechtstarterin befindet sich derzeit eher im Sinkflug. Sie musste die Altlasten einer ziemlich maroden Bundeswehr übernehmen. Die ging sie zwar systematisch an, dafür preschte sie in der Außen- und Sicherheitspolitik oft unsystematisch und überehrgeizig vor. Wurde auf dem Parteitag der CDU mit einem schlechten Wahlergebnis abgestraft.

Andrea Nahles (SPD): Ist innenpolitisch die Matchwinnerin des Jahres, denn es waren zumeist ihre Themen, die umgesetzt wurden. Allen voran der Mindestlohn und die Rente mit 63. Hat sich beim Tarifeinheits-Gesetz sogar mit den Gewerkschaften angelegt, häutet sich gerade zur Mainstream-Sozialdemokratin. Könnte sich noch als echte Konkurrentin Gabriels erweisen.

Die Mitläufer - drei stechen positiv hervor:Gerd Müller (CSU) hat der Entwicklungspolitik nach den Faxen von Vorgänger Dirk Niebel (FDP) wieder seriöses Gewicht im Kabinett gegeben. Er kümmert sich sehr engagiert um die Situation der Flüchtlinge. Heiko Maas (SPD) ist nach Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wieder ein Justizminister, der nicht nur verhindern will, sondern selbst zu gestalten versucht. Mit dem Verbraucherschutz hat er dafür ein gutes Thema. Sein Gegenüber bei der Union, Thomas de Maizière, hat sich im abgelaufenen Jahr öffentlich hingegen sehr zurückgenommen. Führt sein Ressort aber souverän. Ein Mauerblümchen ist Johanna Wanka. Real hat sie sehr viel für Bildung und Forschung erreicht, etwa die BaföG-Reform oder den Hochschulpakt, aber sie glänzt damit nicht.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat im Wesentlichen nur die Frauenquote vorzuweisen, und die stand im Koalitionsvertrag. Bei Alexander Dobrindt (CSU) steht genauso nur die zuvor bereits verabredete Pkw-Maut auf der Haben-Seite, aber das noch nicht einmal sicher. Über diese Themen hinaus haben beide wenig Wirkung. Hermann Gröhe (CDU, Gesundheit) und Christian Schmidt (CSU, Agar) sind solide Ressortchefs, aber ebenfalls ohne große Ausstrahlung. Keine glückliche Figur im Kabinett machte Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Es ist deutlich, dass ihr in entscheidenden Fragen, etwa in der Kohlepolitik oder beim Fracking, Wirtschaftsminister Gabriel geradezu nach Belieben die Butter vom Brot nehmen kann.

Fast der Bewertung entzieht sich Peter Altmaier (CDU), der Kanzleramtsminister. Denn er tut das, was ein Kanzleramtsminister tun muss: Hinter den Kulissen Konflikte moderieren und in der Öffentlichkeit schweigen. Gerade dem redseligen Saarländer fiel das schwer, aber er hat es geschafft. Was sein Anteil am guten Gelingen des ersten Regierungsjahres ist und was der Anteil des sehr detaillierten Koalitionsvertrages, muss daher offen bleiben.

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