Die Partei darf wieder mitreden

Sigmar Gabriel müsste verzweifeln. Wie einbetoniert liegt die SPD auch nach 100 Tagen unter seiner Führung im Umfragekeller. Mal 22 Prozent, mal 27 Prozent. Selbst der schwarz-gelbe Fehlstart zahlt sich nicht aus. Aber der Vorsitzende wirkt prächtig gelaunt.

Berlin. Er habe sowieso nie gedacht, dass die verlorenen Wähler gleich wieder zur SPD zurückkämen, sagt er. "Die haben uns ja nicht aus Versehen nicht gewählt". Auch aus der Partei kommt nicht die geringste Kritik. "Geben Sie ihm und uns ruhig ein Jahr Zeit", sagt der Parteirechte Johannes Kahrs.

Die Erklärung dafür ist nicht etwa Resignation. Es ist schlichtweg die Einsicht, dass die Krise der SPD viel tiefer und nachhaltiger ist, als selbst die 23 Prozent bei der Bundestagswahl erahnen lassen.

"Wir haben in den Abgrund geblickt", formuliert Kahrs. "Das ist gravierender, als viele denken", sagt sein Gegenspieler von den Parteilinken, Björn Böhning. Gabriels wichtigste Leistung war es, die drohende Selbstzerfleischung verhindert zu haben. Das gelang ihm mit seinem allerersten Auftritt auf dem Parteitag in Dresden, der ihn am 14. November zum Vorsitzenden wählte. Der 50-Jährige beruhigte die Basis mit dem Versprechen, sie stärker einzubeziehen. Ein neuer Führungsstil.

Bei der Positionsbestimmung zu Afghanistan durfte die Basis bis gestern ihre Einwände vorbringen - am Montag wird darüber beraten. Sechs "Zukunftswerkstätten" arbeiten bundesweit an den großen gesellschaftlichen Themen von Bildung bis "Gute Arbeit". An einem Steuerkonzept wird gewerkelt, ebenso an einem Wirtschaftsprogramm. Beides soll im Herbst vorgestellt werden. Und in der Parteizentrale wird demnächst ein "Newsdesk" (Nachrichtentisch) als schnelle Kommunikationsplattform eingerichtet.

Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles tun alles, um die Mitglieder in der demotivierenden Oppositionszeit sinnvoll zu beschäftigten und sie von destruktiven Reaktionen abzuhalten.

Als zweites Verdienst rechnet man dem neuen Chef das Abflauen der Flügelkämpfe an. Mit Andrea Nahles scheint Gabriel gut zu kooperieren, obwohl beide sich ursprünglich nicht sonderlich mochten. Die Parteilinke konzentriert sich scheinbar freiwillig ganz auf die Wiederherstellung der "Kampagnefähigkeit" der SPD, wie überhaupt in der Führung eine früher ungeahnte Fähigkeit zum Teamspiel eingezogen zu sein scheint. Dazu passt auch, wie Gabriel mit dem früheren Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier kooperiert. Wo es wichtig wird, formuliert er mit dem Fraktionschef zusammen die Positionen. Man zeigt sich demonstrativ als Pärchen. Natürlich ist die Partei misstrauisch, seit sie Lafontaine und Schröder genauso hat agieren und schauspielern sehen. Gabriel aber schwört: "Wenn wir es hinkriegen zusammenzubleiben, wird das eine gute Geschichte werden."

Die SPD schnurrt emsig, aber friedlich vor sich hin. Sie scheint sich schneller als gedacht in ihrer Oppositionsrolle zurechtzufinden. Für eine echte Offensive reicht es allerdings noch nicht, obwohl Gabriel dafür schon übt. Bei seinem Aschermittwochs-Debüt in Vilshofen sorgte er für etliche Schenkelklopfer, etwa als er das Entwicklungshilfeministerium die "bad bank" der FDP nannte und Angela Merkel den Titel "Trivialkanzlerin" verlieh. Gabriel, sagt ein Führungsmitglied, geht richtig auf in seiner Rolle. Er kann gegen den Gegner keilen und ist gegenüber seiner Partei so sentimental wie Vorgänger Franz Müntefering. "Der macht", sagt Kahrs. "einfach einen tollen Job."

Nicht weniger positiv bewertet Böhning die ersten 100 Tage: "Die Grundlagen sind gelegt. Wir sind alle sehr zufrieden mit der Aufstellung."

Aber ein Gabriel macht noch keinen Frühling.

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