"Die privilegierte Partnerschaft gibt es längst"

TRIER. Ist die Türkei in einigen Jahren reif für einen Beitritt zur Europäischen Union? Oder soll es nur zu einer privilegierten Partnerschaft kommen, wie in Deutschland von der Union favorisiert? Fragen, mit denen sich eine hochkarätig besetzte Tagung auf der Katholischen Akademie Trier beschäftigte.

Ende vergangener Woche sorgt die Türkei für Schlagzeilen: Führende Politiker treffen sich in Ankara mit einer Delegation der radikal-islamischen Hamas, die kürzlich die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten gewonnen hatte. Der Westen, insbesondere die USA und die EU-Länder, reagieren zurückhaltend bis empört: So lange die als Terror-Organisation eingestufte Hamas das Existenzrecht Israels nicht anerkenne und der Gewalt nicht abschwöre, werde es keine Verhandlungen geben, bekräftigte auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch einmal die Haltung der EU. Das ist die offizielle Version. Denn hinter den Kulissen seien westliche Staaten und sogar der EU-Außenbeauftragte Javier Solana zumindest mittelbar in die Gespräche zwischen Hamas und der Türkei "integriert" gewesen, sagt Zafer Mese. Für den Sprecher des deutsch-türkischen Forums in der nordrhein-westfälischen CDU hat das Ankara-Treffen sogar Vorbildcharakter: "Daran sieht man, welche Möglichkeiten die Türkei haben könnte." Dass dem islamischen Land am Bosporus mit seiner strikten verfassungsrechtlichen Trennung von Politik und Religion künftig eine bedeutende Vermittlerfunktion zwischen westlichen Ländern und dem Nahen und Mittleren Osten zukommen wird, glauben auch andere. "Die Türkei könnte eine wichtige Rolle als Stabilisator in der Region spielen", sagt der Trierer Politik-Professor Joachim Schild. Zudem könnten die dortigen Demokratisierungsprozesse Vorbild sein für andere islamische Länder. "Wir brauchen die Türkei als Multiplikator in der islamischen Welt", meint auch der Trierer Strafrechts-Professor und Türkei-Kenner Hans-Heiner Kühne. Schon allein deshalb, weil es außer der Türkei derzeit kein anderes demokratisch regiertes islamisches Land gebe. Argumente, die nach Ansicht Kühnes und Meses dafür sprechen, die Türkei zu einem vollwertigen Mitglied der Europäischen Union zu machen. Die Beitrittsverhandlungen laufen seit vergangenem Oktober. Die Alternative - "privilegierte Partnerschaft"-, vor einiger Zeit von CDU-Chefin Angela Merkel als Gegenpol zur Vollmitgliedschaft vorgeschlagen, hält nicht nur Kühne für eine "Leerformel". "Die privilegierte Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei gibt es längst", sagt Henri Ménudier, Politikberater und -Professor an der Pariser Universität Sorbonne, unter Verweis auf zahlreiche bilaterale Abkommen. Doch auch darin sind sich die Experten einig: Bis zu einer echten Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ist es noch ein langer Weg. Und ein dorniger. "Vor 2014 wird die Türkei der EU nicht beitreten können", sagt Politikwissenschaftler Joachim Schild. Und selbst für die Zeit danach hält er "dauerhafte Einschränkungen der Personenfreizügigkeit" für wahrscheinlich. Dies wäre ein Novum, rechtlich problematisch obendrein: "Denn dann wäre die Vollmitgliedschaft keine echte Vollmitgliedschaft." Scheitern könnte der Türkei-Beitritt aber schon vorher. "Das Ende des Spiels ist noch völlig offen", glaubt der Pariser Professor Henri Ménudier. Vor allem deshalb, weil am Ende der Verhandlungen die Verträge von allen EU-Ländern abgesegnet werden müssen. Das machen in den meisten Staaten die Parlamente; in Österreich oder Frankreich dagegen wird es Volksabstimmungen geben. "Total absurd" findet dies Henri Ménudier mit Blick auf die erst kürzlich abgefragte Türkei-Skepsis der meisten EU-Bürger. Mehr als 70 Prozent sind in Ländern wie Deutschland, Luxemburg oder Frankreich gegen einen Beitritt der Türkei. Selbst ein Land wie Albanien genießt da noch eine höhere Sympathie.

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