Die ratlose Führung fragt nun die Basis

Die neue Parteiführung ist nominiert - nun begeben sich die Sozialdemokraten an die inhaltliche Neuausrichtung ihrer Politik. Erstes wichtiges Signal: Die SPD-Basis soll wesentlich stärker einbezogen werden.

Berlin. Dass sich erst die Führung weg von der Basis und dann die ganze Politik weg von den Menschen bewegt habe, diese These gilt in der SPD als wichtigstes Erklärungsmuster für die tiefe Krise der Partei. Festgemacht wird das an den Agenda-Reformen Gerhard Schröders, an Hartz IV und an der Rente mit 67. Auch am Montag, als Sigmar Gabriel und sein neues Führungsteam im SPD-Parteivorstand nominiert wurden, wogte darüber die Debatte.

So geriet Noch-Finanzminister und Agenda-Befürworter Peer Steinbrück heftig mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit aneinander, der eine Abkehr von der Rente mit 67 empfohlen hatte. Sein Landesvorstand hatte gar verlangt, dass alle Agenda-Politiker von Steinbrück bis Steinmeier keine hohen Ämter mehr haben dürften. Auf der Gegenseite kritisierte der Parteilinke Hermann Scheer, die neue Führung sei wieder im engsten Kreis ausgekungelt worden. Das Ganze sei ein "Putsch".

Die Zerrissenheit zeigte sich anschließend in den Wahlergebnissen für die neue Spitze. So bekam die als Generalsekretärin vorgesehene Linke Andrea Nahles nur 24 der 36 Vorstandsstimmen; der als Parteivize vorgesehene Wowereit gar nur 22 Stimmen. Aber auch Gabriel konnte lediglich 28 Stimmen erringen.

Gabriel will die Wunden nun mit einer Parteireform heilen. Sie soll die Spaltung zwischen "wir da unten" an der Basis und "die da oben" in Berlin endlich aufheben und das Parteileben wieder lebendiger machen. In die Details ging er noch nicht, doch verwies er darauf, dass die SPD Volksentscheide befürworte und dieses Prinzip auch bei innerparteilichen Fragen gelten müsse. Das kann nur bedeuten: mehr Mitgliederabstimmungen in inhaltlichen Fragen.

Auch bei der Personalauswahl will Gabriel die Basis offenbar einbeziehen. Wer das SPD-Parteibuch habe, wolle schließlich nicht nur "Fördermitglied" sein und Beitrag zahlen, sondern mitentscheiden, sagte der noch amtierende Umweltminister und verwies auf die Praxis seines SPD-Bezirks Braunschweig. Dort wird in Vorwahlen entschieden, wer für die SPD bei einer Wahl antreten darf. Und zwar nicht nur durch die örtlichen SPD-Mitglieder, sondern offen durch alle Bürger. Bei den Landratswahlen in seinem Heimatkreis Goslar wurde dieses Prinzip 2006 schon erfolgreich praktiziert. Allerdings: In der Parteisatzung ist Derartiges nicht vorgesehen. Ausgerechnet der als autoritär geltende scheidende Parteichef Franz Müntefering hatte 2000 einen entsprechenden Reformvorschlag gemacht, war aber im Vorstand gescheitert.

Zur Basisstärkung soll auch beitragen, dass gezielt Kommunalpolitiker ins Parteipräsidium gewählt werden, wie Gabriel ankündigte.

Die Debatte um die vergangenen elf Jahre sozialdemokratischer Regierungspolitik will Gabriel auf zwei Ebenen führen. Zum einen wird er bis zum Parteitag Mitte November zusammen mit Nahles möglichst viele Kreis- und Bezirksvorstände besuchen und mit ihnen diskutieren, wo dort seit der Agenda 2010 der Schuh drückt. Zum anderen soll auf der Bundesebene bis Anfang nächsten Jahres eine möglichst objektive Bilanz aller Reformen seit 1998 erstellt werden.

Das Verfahren soll ergeben, wo es Korrekturbedarf gibt. Aber es soll auch den Stolz auf das Geleistete wecken - und die SPD mit der eigenen Politik versöhnen. Kultur Seite 25

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort