"Die Regierung ist in Not"

Berlin · Hans-Christian Ströbele ist Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium zur Kontrolle der Geheimdienste. Im Interview nimmt der Grünen-Politiker Frank-Walter Steinmeier in Schutz. Stattdessen will er die Kanzlerin vorladen.

Berlin. Der Grüne Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, nimmt SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in Schutz. Steinmeier habe als Kanzleramtschef nicht die Tür für die Spionageaffäre geöffnet, sagt Ströbele im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Bundesregierung vermenge in unseriöser Weise die Sachverhalte .
Herr Ströbele, ist Frank-Walter Steinmeier ein Heuchler, wie die Linke und Teile des Regierungslagers behaupten?
Warum soll er ein Heuchler sein? Die Argumentation, Steinmeier habe als Kanzleramtschef 2002 mit den USA eine Vereinbarung geschlossen und das sei jetzt die Grundlage der Ausspähprogramme Prism und Tempora, ist eine, die sich Kanzlerin und Union herbeigewünscht haben. Aber keine reale, das ist doch unseriös. Damals ging es um einen intensiveren Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsdiensten. Das hatte mit den Terroranschlägen des 11. September zu tun. 2002 konnten viele Geheimdienstler doch nur davon träumen, die Daten einer ganzen Bevölkerung speichern zu können.
Aber ist damals nicht für Prism und andere Programme die Tür geöffnet worden?
Ich sehe, dass die Bundesregierung in ihrer Not jetzt versucht, zwei Dinge miteinander zu vermengen. Die Vereinbarung von 2002 hat aber nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun.
Wenn es anders wäre, könnte die Bundesregierung auch gar nicht mehr bestreiten, dass sie uns belogen hat. Denn dann muss Frau Merkel davon gewusst haben.
Welche Rolle spielt aus ihrer Sicht der BND?
Dass der BND millionenfach Auslandskommunikation ausspäht, wobei alle Kommunikation, die Deutschland oder Deutsche betrifft, angeblich ausgespart wird, ist bekannt. Die Bildzeitung hatte im Februar 2012 dazu sogar eine Schlagzeile. Im Jahr 2011 waren es circa zwei Millionen, die aber nicht Deutschland betrafen. Neu ist, dass der BND die Daten aus Krisengebieten offenbar in so großen Mengen an die NSA liefert. Wenn dem so ist, muss der BND darüber informiert gewesen sein, dass die NSA ein riesiges Ausspähprogramm fährt.
Angeblich handelt es sich um 500 Millionen Datensätze - und das im Monat.
Richtig, so war die Zahl bei Prism und soll jetzt die Menge des BND sein. Wir wollen am Montag im Kontrollgremium ganz konkret hören, welche Daten sie wann geliefert haben und ob es überhaupt die Dimensionen sind, die behauptet werden. Der BND sagt uns, es handele sich nur um zwei Millionen im Jahr. Und er beteuert, sich dabei an die sehr strengen Regeln der gesetzlichen Kontrolle zu halten.
Wollen Sie weiterhin die Kanzlerin vernehmen?
Gerade jetzt ist es dringender denn je, die Kanzlerin zu befragen. Meine Zweifel an ihren den Beteuerungen, nichts gewusst zu haben, sind in den letzten Sitzungen immer größer geworden. Ich werde den Antrag auf Anhörung der Kanzlerin noch im August erneuern.Extra

Hans-Christian Ströbele (74) gehört zu den Gründungsvätern der Grünen. 2002 zog er als erster Grüner mit einem Direktmandat in den Bundestag ein. Von 2002 bis 2009 war er stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion. Als junger Rechtsanwalt verteidigte der gebürtige Hallenser in den 70er Jahren RAF-Mitglieder. 1979 gründete er mit anderen die Tageszeitung taz. red

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