"Die Renaissance der FDP ist möglich"

FDP-Vize Wolfgang Kubicki ist eines der wenigen Gesichter der Partei, die bundesweit bekannt sind. Am Wochenende gastierte der Liberale auf Einladung der Versicherung Alte Leipziger/Hallesche in Trier. TV-Redakteur Rolf Seydewitz nutzte die Gelegenheit zu einem Interview.

Quizfrage, Herr Kubicki: Auf wie viel Prozent kommt denn die FDP, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre? Kubicki: Laut Forschungsgruppe Wahlen auf drei Prozent. Das muss Sie doch wurmen, oder? Kubicki: Natürlich entsetzt mich, dass die FDP derzeit bei diesen Werten steht. Aber da ich seit 44 Jahren in der FDP bin, überrascht es mich auch wieder nicht. Es gab schon immer Phasen, in denen wir bei drei, vier Prozent lagen. Das ist in etwa der Anteil unserer Stammwählerschaft, die immer FDP wählt. Die Stimmen darüber hinaus kommen von Wechselwählern. Aus den Analysen der letzten Wahlen wissen wir, dass wir die meisten Wähler in die Nichtwählerschaft verloren haben. Sie sind für uns also noch erreichbar. Womöglich sind diese Wähler enttäuscht von der halbherzigen personellen und programmatischen Erneuerung der FDP… Kubicki: Sie können von einer Partei mit dieser Tradition nicht erwarten, dass sie sich in kürzester Zeit komplett erneuert. Aber es ist klar geworden, dass wir uns nicht nur auf steuerpolitische Themen konzentrieren dürfen. Die Menschen leben nicht nur vom Brot alleine. Das haben viele in unserer Partei lange nicht verstanden. Kommen Sie aus dem Umfragtief überhaupt noch einmal heraus? Der Parteienforscher Oskar Niedermayer sagt, die FDP sei dabei, sich überflüssig zu machen. Sie verschwinde aus den Umfragen und aus den Köpfen der Leute … Kubicki: Klar ist es schwer, aus dem Keller herauszukommen. Ich bin aus Schleswig-Holstein, habe dort 1989 den Vorsitz übernommen. Da waren wir nicht im Parlament. Seit 1992 haben wir keine Landtagswahl mehr verloren. Heute zählen wir als liberales Stammland. Ich glaube, dass die FDP auch im Bund eine Renaissance erleben kann. Hat die FDP nicht derzeit auch das Problem, öffentlich nicht mehr wahrgenommen zu werden? Kubicki: Das Problem habe ich interessanterweise nicht, auch nicht der Vorsitzende Christian Lindner. Die FDP-Frau Katja Suding ist in Hamburg eine herausragende Politikerin. Aber hier in Trier dürfte sie kaum jemand kennen. Das dürfte sich erst nach einem guten Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl ändern. Kommen wir nicht gut ohne FDP aus? Kubicki: Die Menschen brauchen die FDP, weil immer noch gilt: Was verteilt werden soll, muss erst erwirtschaftet werden. Wer etwas vom Fach versteht, sagt, dass durch Rente mit 63 dringend benötigte Facharbeiter ausscheiden. Beispiel Mütterrente: Schon die nächste Regierung wird sie einkassieren, weil die Kassen leer sind. Wir leisten uns höhere Sozialausgaben, obwohl wir dringend unsere Infrastruktur instandsetzen müssten. Wir steuern auf französische Verhältnisse zu. Das sind alles Argumente, die ich auch aus Teilen der Union höre. Kubicki: Möglich, aber die CDU macht genau diese Politik; das ist ja das Perverse. Die CDU regiert nicht alleine, sowie die FDP dereinst auch …Kubicki: Das wirft man meiner Partei zu Recht vor: Man darf in einer Koalition nichts gegen die eigene Überzeugung und die eigenen Grundsätze tun, nur um den Koalitionsfrieden zu retten.Die Programmatik der FDP besteht zuletzt in dem einen Punkt: Steuersenkung. Kubicki: Stimmt nicht ganz, aber die öffentliche Kommunikation fokussierte sich tatsächlich nur auf diesen Punkt. Es war ein Kommunikationsgau. Dabei gibt es keine andere politische Gruppierung, die sich wie die FDP dafür einsetzt, dass die Menschen ihr Leben frei gestalten können. In Hamburg haben sich unlängst die Neuen Liberalen gegründet. Inwiefern beunruhigt Sie das?Kubicki: Überhaupt nicht. Ich kenne die Personen und ihre Beweggründe. Die beiden Vorsitzenden sind aus der FDP ausgetreten, weil sie nicht auf den gewünschten Listenplatz gekommen sind. Die Neuen Liberalen sind eine regionale Erscheinung, die mit der nächsten Wahl ihre Bedeutung verlieren werden. Schreckt Sie denn die AfD?Kubicki: Eine Partei, die das Abtreibungsrecht abschaffen will, die homophob ist und die Ressentiments gegen Ausländer schürt, ist keine liberale Partei. Die AfD-Wähler sind nicht unser Klientel.Sie sind optimistisch in Bezug auf das Abschneiden der FDP in Hamburg, 2016 wird in Rheinland-Pfalz gewählt. Kennen Sie überhaupt den hiesigen Vorsitzenden?Kubicki: Ich sitze neben dem von mir sehr geschätzten Kollegen Volker Wissing im Präsidium. Wir pflegen ein offenes Wort, auch bei Pressemitteilungen, an denen er noch arbeiten muss. Wenn ich will, dass es etwas kommuniziert wird, darf ich nicht belehrend sein, auch wenn es in der Sache richtig ist. Die Botschaft muss witzig sein oder einen Nachrichtenwert haben. Wenn der Kollege am Jahresende 183 Erklärungen abgegeben hat, aber die Abdruckquote liegt bei 0,1 Prozent, ist niemandem gedient. Ihre Prognose für die nächste Bundestagswahl?Kubicki: 2017 ist noch weit weg. Aber es gibt großen Bedarf nach einer politischen Kraft, die auf wirtschaftliche Vernunft setzt, darauf, dass Unternehmen nicht dauernd drangsaliert werden, und die dafür eintritt, dass Arbeitnehmern von ihrem Geld auch etwas bleibt. seyExtra

Wolfgang Kubicki ist seit zwei Jahrzehnten Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. Seit Dezember 2013 ist der 62-jährige Rechtsanwalt zudem Vize-Bundesvorsitzender seiner Partei. sey

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