Die Riesen rufen nach Milliarden

Ehe die Bundesregierung in Berlin über mögliche Hilfen für Opel entscheidet, wird sie genau beobachten, was mit Amerikas Autobauern geschieht. In den USA wird die Krise zur ersten Bewährungsprobe für den designierten Präsidenten Barack Obama.

Warren/Washington. Für Jim Weber aus der Stadt Warren (US-Bundesstaat Michigan) beginnt um 8 Uhr morgens das, was als bezahlter Arbeitstag für den in Bedrängnis geratenen Automobil-Hersteller General Motors gilt. Frühstück, die Kinder zur Schule bringen. Dann Fernsehen, Kartenspiele oder ein Spaziergang. Am Nachmittag folgen Videos oder eine Buchlektüre. Seit Jahren ist dies die tägliche Routine des Mannes, der einst im "Technical Center" von General Motors beschäftigt war. Doch heute wird er nicht mehr gebraucht. Dennoch bezahlt ihn das Unternehmen weiter dafür, dass er nicht arbeitet. Weber erhält 85 Prozent seines letzten Bruttolohns - ohne zeitliche Begrenzung: Rund 35 Dollar pro Stunde, plus alle Zulagen.

Wie Weber befinden sich mindestens 12 000 Arbeiter der "Großen Drei" (General Motors, Chrysler und Ford) in sogenannten "Job Banks". Diese "Banken" sind ein höchst brisantes Thema, das die Unternehmen gerne totschweigen. Denn wegrationalisierte Beschäftigte bleiben, dank der Verhandlungskünste der "United Auto Workers" (UAW)-Gewerkschaft, oft jahrelang weiter auf der Lohnliste. Die Zustimmung zu dieser künstlichen Job-Welt gilt bei Kritikern als Musterbeispiel für Mismanagement bei den Auto-Giganten - und neben einer verfehlten Modellpolitik und teuren Pensionsplänen als einer der Gründe dafür, dass die Branchen-Riesen nun nach Milliardenhilfen rufen.

Seit gestern berät der US-Senat in Washington über ein Rettungsprogramm, heute sind Anhörungen von Firmenvertretern und Arbeitnehmer-Vertretern geplant. Für Mittwoch ist eine Abstimmung ins Auge gefasst.

Doch Gewerkschaftsvertreter haben bereits klar gemacht: Zugeständnisse von ihrer Seite wird es nicht geben. "Die Arbeitnehmer haben genug geblutet, die derzeitige Krise ist nicht unsere Schuld", argumentierte UAW-Chef Ron Gettelfinger.

Der mächtige Gewerkschaftsboss kann dabei mit der Unterstützung des neugewählten Präsidenten Barack Obama rechnen - auch, weil dieser bei den UAW-Fußtruppen in der Pflicht steht. Denn die Gewerkschaften bilden einen wichtigen Teil von Obamas Unterstützer-Basis. Die Demokraten dringen nun darauf, einen Teil des 700-Milliarden-Dollar-Programms gegen die Kreditkrise entsprechend anzupassen. Ein Gesetzentwurf sollte gestern dafür die ersten Weichen stellen. Doch während es Obama als "Katastrophe" ansähe, wenn die Stützen der amerikanischen Automobilindustrie zusammenbrechen würden, halten führende Republikaner wie Senator Richard Shelby dagegen: Hier solle ein "Dinosaurier" künstlich am Leben gehalten werden. Allerdings gab es gestern Hinweise aus dem Weißen Haus darauf, dass Präsident Bush ebenfalls Hilfsaktionen gutheißen würde - so lange das Geld nicht aus dem 700-Milliarden-Paket kommt. Bushs Sprecherin betonte, stattdessen möge man doch jene 25 Milliarden Dollar dafür nehmen, die die Regierung bereits zur Entwicklung sparsamerer Fahrzeuge verabschiedet habe. Doch die Demokraten wollen frisches Kapital und lehnen das ab. Die Republikaner haben im Senat eine Sperr-Minderheit und könnten eine Lösung bis 20. Januar 2009 - der Amtseinführung Obamas - hinausgezögern.

Um Konzessionen wird - wie die Gewerkschaften und die Unternehmen - auch Obama nicht herumkommen. Der künftige Präsident sieht sich hier seiner ersten großen Bewährungsprobe ausgesetzt. Staatliche Hilfen für die Branche dürften kein Blankoscheck und müssten "ein Überbrückungskredit nach irgendwo und kein Überbrückungskredit nach nirgendwo" sein, so der Demokrat. Doch an Stützungsaktionen für die Autobranche und die Gesamtwirtschaft ließ Obama keine Zweifel - und will dafür auch den Schuldenabbau des Staates hintanstellen. "Wir müssen tun, was immer möglich ist, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen", sagte Obama im US-Fernsehen.

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