Die Stunde der Außenseiter

Washington · Populisten sind kein neues Phänomen in der US-Politik. Neu ist, dass sie diesmal, getragen von einer Welle der Enttäuschung über die traditionellen Eliten, womöglich Wahlen gewinnen können.

Washington. An Selbstvertrauen hat es Donald Trump noch nie gefehlt, doch inzwischen hat es schwindelerregende Höhen erklommen. Neulich hat er gesagt, er könnte sich auf die Fifth Avenue in Manhattan stellen und jemanden erschießen und würde dennoch keine einzige Wählerstimme verlieren.TV-Analyse Außenpolitik


Das Verrückte daran ist, dass es kaum einen gab, der ihm widersprach. Zu beobachten ist ein hochzufriedener Narziss, der seinen Höhenflug umso mehr genießt, weil ihm die Kommentatoren fast geschlossen den baldigen Absturz prophezeit hatten, als er im Blattgoldprunk des Trump-Tower-Wolkenkratzers seine Kandidatur verkündete. Kurz vor dem Vorwahlstart in Iowa führt er das Feld der republikanischen Bewerber noch immer mit deutlichem Vorsprung an. Trump, der Triumphator.
Sicher, noch immer kann das Szenario eintreten, mit dem konventionelle Beobachter seit Monaten rechnen. Sobald es ans Abstimmen geht, platzt demnach die Trump-Blase. Dann rücken die Entertainer, deren Unterhaltungswert US-Wahlkämpfe in der Frühphase oft prägt, ins zweite Glied. Gewiss, im Vorfeld der Primaries schenkt das Publikum einem Marktschreier vielleicht noch Gehör. Irgendwann aber wird der Clown den Ring verlassen, bezwungen von einem Kontrahenten mit Ausdauer und Substanz, einem Jeb Bush, einem Marco Rubio, einem John Kasich, wem auch immer.

Die Frage ist, ob sich das konventionelle Szenario nicht als Wunschdenken erweist. Ausgerechnet Trump, der Milliardär aus New York, hat es geschafft, zum Anführer eines Aufstands zu werden. Einer Protestbewegung, die in der Tea Party ein frühes Ventil fand und die sich voller Wut abkehrt von einer vermeintlich arroganten Elite. Das konservative Establishment hat den Schuldenberg um mehrere Billionen Dollar anwachsen lassen, es hat Soldaten in nicht zu gewinnende Kriege geschickt, und als George W. Bush restlos entzaubert war, hat er indirekt Barack Obama, dem Anti-Bush, den Weg ins Weiße Haus geebnet. Ungefähr so lässt sich die Bilanz aus Sicht eines frustrierten Basiskonservativen zusammenfassen. Was einen Bewerber früher qualifizierte, Erfahrung, das Wissen um die Mechanismen des Regierens, disqualifiziert ihn heute, weil es ihn zum Teil des verhassten Establishments stempelt.
Beschreibt Trump die USA, klingt es nach dem alten Rom kurz vor dem Untergang. "Dieses Land ist ein elendes Loch. Wir kriegen nichts mehr zustande. Die ganze Welt lacht über uns." So düster die Lage, so simpel die Lösung, suggeriert er: Man möge ihm, dem cleveren Geschäftsmann, einfach mal das Ruder anvertrauen. Populisten sind wahrlich nichts Neues in der US-Politik. Doch seit über 100 Jahren hat keine der großen Parteien einen Populisten zu ihrem Anwärter fürs Oval Office gekürt.
Bei den Demokraten ist es Bernie Sanders, der vom Außenseiter-Bonus profitiert. Dabei ist der 74-Jährige das Gegenteil eines politischen Seiteneinsteigers, der Anti-Trump, wenn man so will. Seit 1991 sitzt er im Kongress, wo er lange als gutmütiger Exzentriker galt, schon weil er den Zwergstaat Vermont vertrat. Mittlerweile hat der Außenseiter die Koordinaten der Debatte so eindeutig nach links verschoben, wie es ihm nur wenige zugetraut hatten. Seit den 1980er Jahren ist er der erste Demokrat von Rang, der für höhere Steuern plädiert, um ein Gesundheitssystem ohne private Versicherungen und Universitäten ohne Studiengebühren finanzieren zu können. Historiker sprechen von der Rückkehr zu Franklin D. Roosevelts "New Deal", vom Bruch mit dem Pragmatismus eines Bill Clinton, der 1992 für seine Partei die erste Wahl nach langer Durststrecke gewann. Nun ist es seine Frau Hillary, die in Bills Tradition die Praktikerin gibt. Die Partei aber wärmt sich an ihrem Rivalen, der wie Trump von der Enttäuschung über die Eliten profitiert - hier die Eliten des Geldes. Dass die Banker der Wall Street mit ihrer Casinomentalität die Finanzkrise auslösten, um den Steuerzahler zur Kasse zu bitten, als das Kartenhaus in sich zusammenfiel: Kein Zweiter steht so überzeugend für den noch schwelenden Ärger darüber wie Sanders, der immer schon strengere Regeln für die Wall Street anmahnte. Bernie, der Authentische.Extra

Kurz vor der ersten Vorwahl um die US-Präsidentschaftskandidatur in Iowa hat Donald Trump seinen republikanischen Konkurrenten noch einmal die Schau gestohlen. Der Immobilienunternehmer blieb der Fernsehdebatte der Republikaner am Donnerstagabend fern. Die sieben Bewerber, die in Umfragen hinter Trump liegen, debattierten zwar ohne ihn wesentlich sachorientierter. Trump bekam jedoch viel Aufmerksamkeit, als er zur gleichen Zeit an einem anderen Ort in Des Moines auftrat, um Geld für Veteranen zu sammeln. dpa

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