"Die Systeme fliegen uns um die Ohren"

TRIER. Dass Arbeit in Deutschland zu teuer ist und den Arbeitnehmern zu wenig Netto vom Brutto bleibt, prangert Peter Rauen seit langem an. In der aktuellen Reform-Debatte sieht sich der Salmrohrer CDU-Bundestagsabgeordnete deshalb auch bestätigt: "Sage ich doch schon seit Jahren."

Für den 58-jährigen Peter Rauen ist der heutige Freitag ein Stress-Tag: erst Bundestag, dann ab in den Flieger nach Köln. Dort beginnt am Nachmittag ein zweitägiger Bundeskongress der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung. Deren Chef heißt seit 1997 Peter Rauen. Die Chancen, dass er im Amt bestätigt wird, sind gut. Im TV -Interview spricht er über Reformen, Sport und seine Lust an einer weiteren Legislaturperiode im Bundestag.Die Reform-Debatte in Deutschland ist offensichtlich auf ihrem Höhepunkt angelangt. Jeden Tag neue Vorschläge, jeden Tag neue Patent-Rezepte: Blicken Sie als Abgeordneter da überhaupt noch durch? Rauen: Ich blicke noch durch, aber wohl nur deshalb, weil ich ein halbes Jahr in der Herzog-Kommission mitgearbeitet habe. Deren Aufgabe war es, tragfähige Konzepte für die Sozialsysteme zu entwickeln, die weit in die Zukunft reichen.Heute wird im Bundestag über Hartz III (Umbau der Bundesanstalt für Arbeit) und Hartz IV (Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe) abgestimmt. Sind das Schritte in die richtige Richtung? Rauen: Es sind Schritte in die richtige Richtung mit Blick auf die Arbeitsvermittlung, aber neue Arbeitsplätze entstehen hierdurch keine. Hier hat die Union bessere Vorschläge.Verstehe ich Sie richtig: Sie finden die Regierungsvorschläge zwar gut, sind aber trotzdem dagegen? Rauen: Ich finde sie nicht gut. Deshalb lehne ich sie ab und gehe davon aus, dass im Vermittlungsausschuss mit den besseren Vorschlägen der Union ein Kompromiss gefunden wird.Das Reform-Chaos in der rot-grünen Koalition ist groß, aber in den Reihen der CDU/CSU sieht's nicht besser aus. Was will die Union denn nun? Rauen: Die Situation in Deutschland ist geprägt durch zunehmende finanzielle Defizite, zurückgehende Beschäftigung und Sozialsysteme, die aus dem Ruder laufen. Legale Arbeit wird immer teurer, gleichzeitig haben die Menschen netto immer weniger im Portemonnaie. Um dies zu ändern, müssen die Sozialsysteme so weit wie möglich vom Faktor Lohn abgekoppelt werden.Sie haben Ihren Parteifreunden Seehofer, Blüm und Geißler in der aktuellen Reform-Debatte Fahrlässigkeit, Unseriosität und Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Was stört Sie so an den "Sozial-Romantikern", wie Sie Ihre Kollegen genannt haben? Rauen: Sozial-Romantiker sind für mich Leute, die Geld verteilen wollen, das noch nicht erarbeitet worden ist. Vor diesem Hintergrund habe ich die Kritik an den Ergebnissen der Herzog-Kommission zurückgewiesen. In der Analyse kommen die Experten der von der Union eingesetzten Herzog- und der von der Regierung eingesetzten Rürup-Kommission zum selben Ergebnis: Ohne durchgreifende Reformen der Sozialsysteme fliegen uns diese in wenigen Jahren um die Ohren. Auch die von beiden Kommissionen vorgeschlagenen Maßnahmen ähneln sich sehr.Sie sagen, dass Regierung und Union so weit in der Reform-Debatte gar nicht auseinander liegen. Wird es denn dieses Jahr noch eine Einigung geben? Rauen: Nein. Was derzeit vorliegt, ist - aktuelles Beispiel Gesundheitsreform - nur ein Drehen an Stellschrauben innerhalb der Systeme und keine Änderung an den Systemen. Vorschläge zur Änderung der Systeme liegen im Bundestag überhaupt nicht vor und sind - wegen der langwierigen parlamentarischen Abläufe - bis Weihnachten nicht zu schaffen.In die aktuelle Reform-Debatte bringen die Mittelständler der Union ihr eigenes Konzept ein, das am Wochenende verabschiedet werden soll. Wie lauten die Kern-Aussagen der "Kölner Leitsätze"? Rauen: Die Kölner Leitsätze geben aus Sicht der Mittelstandsvereinigung umfassende Antworten auf die Frage, wie in Deutschland wieder mehr Wachstum und Beschäftigung entstehen kann. Wir wollen, dass unser Land vom Schlusslicht wieder zum Motor für Wirtschaftswachstum in Europa wird. Unsere Vorschläge umfassen den gesamten Bereich der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Im Bereich der Sozialpolitik etwa sind unsere Vorschläge fast deckungsgleich mit denen der Herzog-Kommission.Kritiker bemängeln, dass Sie sich nicht für den wichtigen Vorsitz im Haushaltsausschuss, sondern für den Vorsitz im vergleichsweise unbedeutenden Sportausschuss entschieden haben. Bereuen Sie Ihre Entscheidung? Rauen: Ganz im Gegenteil: Die Gestaltungsmöglichkeiten im Sportausschuss sind sehr groß. Im Haushaltsausschuss hätte ich als Vorsitzender lediglich die Finanzmisere der rot-grünen Bundesregierung zu moderieren gehabt. Das habe ich vor einem Jahr bereits gewusst und mich deshalb für den Sportausschuss entschieden.Sie sind jetzt 58 und politisch noch immer ein "Hans Dampf in allen Gassen". Wie sieht Ihre Planung für die Zukunft aus? Rauen: Ich habe in den letzten Jahren großen Einfluss auf den Meinungs- und Willensbildungsprozess innerhalb der Union und unserer Bundestagsfraktion gehabt. Die Ergebnisse dieses Prozesses will ich auch noch in Regierungspolitik umgesetzt wissen.Heißt also: Rauen tritt bei der nächsten Bundestagswahl 2006 noch einmal an? Rauen: Das habe ich auf jeden Fall vor, wenn Gesundheit und Wähler dies zulassen.Mit Peter Rauen sprach TV-Redakteur Rolf Seydewitz.

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