Die Union findet keine klare Linie zur Ukraine
Berlin · Im Umgang mit der Ukraine-Krise gibt die Union zurzeit kein gutes Bild ab. Anstatt die Reihen zu schließen und eine klare Politik zu vertreten, fügen einzelne Politiker von CDU und CSU dem eigenen Lager und der Sache Schaden zu.
Berlin. Mit Blick auf das außenpolitische Personal der Unionsfraktion meinte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt gestern leicht süffisant: "Es braucht nicht immer schillernde Figuren." Gar keine in den eigenen Reihen zu haben, ist aber auch nicht unbedingt ein politischer Vorteil.
Großes Unbehagen
Bei CDU und CSU macht sich derzeit ein großes Unbehagen breit, weil die Ukraine-Krise der Führung vor Augen geführt hat, dass man außenpolitisch nicht sonderlich gut aufgestellt ist. Es wird laviert, es gibt keine klare Linie. Ein Vakuum, das zum Leidwesen der Parteigranden mancher für sich nutzt.
Gemeint sind Philipp Mißfelder (CDU) und Peter Gauweiler (CSU). Für beide begann die Sitzungswoche in Berlin mit einem Spießrutenlauf: Erst musste Mißfelder bei Fraktionschef Volker Kauder antreten, gestern entschuldigte er sich dann noch einmal kleinlaut vor der Unionsfraktion. Der außenpolitische Sprecher hatte vergangene Woche - ohne vorab die Fraktionsspitze oder das Kanzleramt zu informieren - am Geburtstagsempfang für SPD-Altkanzler Gerhard Schröder mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Sankt Petersburg teilgenommen. Das sei "unüberlegt" und "instinktlos" gewesen, musste Mißfelder sich anhören. Sein Sprecher-Amt darf er aber behalten.
Gauweiler, immerhin stellvertretender CSU-Vorsitzender, hatte die Beobachtermission deutscher Soldaten in der Ukraine scharf kritisiert, auch deren Verhalten in der Geiselhaft. In der Landesgruppe am Montagabend wurde er dafür gerüffelt. Zwar versuchte Gauweiler, sich in einem halbstündigen Vortrag zu erklären, doch ihm soll unmissverständlich klargemacht worden sein, dass seine Äußerungen unangemessen gewesen seien. Hasselfeldt wollte hinterher ein gewisses Nachdenken bei dem eigensinnigen Christsozialen festgestellt haben.
Zwei Vorgänge, die der Unionsführung schlagartig bewusst gemacht haben: In der Außenpolitik - überspitzt gesagt - macht und sagt jeder, was er will.
Zähneknirschend räumt man inzwischen ein, wie "besorgniserregend" es sei, dass es der Ukraine-Krise bedurft habe, "um eine größere Aufmerksamkeit auf die Außenpolitik zu lenken". Das mangelnde Interesse hat mehrere Gründe: Für die Union wird das Thema vor allem im Kanzleramt und durch Angela Merkel beackert. Da bleibt wenig Raum, so wird bemängelt, um "grundlegende Fragen" zu diskutieren. Darüber hinaus zählt in den Wahlkreisen vor allem die Innenpolitik. Erst die Ukraine habe das geändert, berichten Abgeordnete. Doch die wenigsten sind darauf vorbereitet gewesen.
Das Hauptproblem der Union ist aber ihre dünne Personaldecke - und dass das Personal, das sie hat, sich untereinander nicht versteht.
So wie der Vize-Fraktionschef Andreas Schockenhoff und Mißfelder. Beide verfolgen unterschiedliche Ansätze: Mißfelder ist inzwischen eher zum Russland-Versteher geworden, nachdem er sein Amt als Amerikabeauftragter nach 100 Tagen plötzlich aufgegeben hatte.
Offene Kritik
Schockenhoff war einst Russlandbeauftragter, musste die Funktion aber an die SPD abtreten. Er hatte Putin schon vor der Krim-Krise offen kritisiert. Gemeinsame Sache machen beide jedenfalls nicht.
Darüber hinaus gibt es führende Außenpolitiker, die man noch gar nicht kennt - wie den neuen Amerikabeauftragten Jürgen Hardt. Seine Berufung hatte selbst in den eigenen Reihen für Verwunderung gesorgt. Oder sie melden sich nur selten zu Wort - wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen. Der einst von Merkel geschasste Umweltminister ist extrem vorsichtig geworden. Es bleibt also noch viel zu tun, wenn die Union außenpolitisch wieder an Profil gewinnen will.Extra
Die Lage im Ukraine-Konfliktam Dienstag: Russland hat die Einbindung der prorussischen Kräfte in neue Friedensgespräche gefordert. Die ukrainische Regierung lehnte dies umgehend ab. Außenminister Frank-Walter Steinmeier befürchtet nach den jüngsten Kämpfen im Osten des Landes, dass daraus ein offener militärischer Konflikt entsteht. Das Auswärtige Amt rät allen Deutschen, das Krisengebiet zu verlassen. Laut ukrainischer Regierung sind bei der Offensive gegen moskautreue Kämpfer im Osten des Landes allein bei Gefechten am Montag 30 Separatisten und vier Mitglieder der Sicherheitskräfte getötet worden. Der Flughafen Donezk nahm am Nachmittag den Betrieb wieder auf. In Odessa wurde der Gouverneur abgesetzt. Übergangspräsident Alexander Turtschinow begründete dies mit den jüngsten Straßenschlachten und dem Gebäudebrand mit Dutzenden Toten in der Hafenstadt. dpa