Die Universität als Markt der Möglichkeiten

Trier · Was erwartet junge Menschen beim Eintritt in den ´Lehrbetrieb einer Universität? Welche Entscheidungen müssen Studienanfänger treffen und wie werden sie dabei begleitet? Professor Dr. Michael Jäckel beschreibt, was Universität heute bedeutet.

 Was kann die Universität mir bieten und was wird im Studium von mir erwartet? Studienanfänger brauchen Orientierung, um den Markt der Möglichkeiten zu durchschauen und zu nutzen. tv-symbolFoto: Archiv/Friedemann vetter

Was kann die Universität mir bieten und was wird im Studium von mir erwartet? Studienanfänger brauchen Orientierung, um den Markt der Möglichkeiten zu durchschauen und zu nutzen. tv-symbolFoto: Archiv/Friedemann vetter

Foto: Friedemann Vetter (ClickMe)
 Prof. Dr. Michael Jäckel. Foto: Privat

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Beginnen wir mit einem kurzen Gedankenspiel: Würden alle Studienanfänger des Jahres 2017 auf alle Studienangebote gleichmäßig verteilt, wäre relativ eindeutig, was im Zähler stehen müsste - mehr als 500 000 -, im Nenner dagegen wäre die Zahl wohl weniger präzise, weil sich einige Studiengänge nur im Grad der Spezialisierung unterscheiden, aber dennoch einen anderen Namen tragen. Das sorgt für Vielfalt, kann aber auch verwirren.

Als grobe Orientierung: Es gibt bundesweit etwa jeweils 9000 Angebote im Bachelor und Master. Gerade haben an der Universität Trier wieder annähernd 2000 junge Menschen ein Studium begonnen. Viele besuchen, auch weil es ihnen nahegelegt wird, die Einführungsveranstaltungen. Alle sind in diesen ersten Tagen auf Empfang programmiert, an Ratschlägen mangelt es nicht.

Ein "Markt der Möglichkeiten" eröffnet sich in einem doppelten Sinne: Einmal ist dies der Name einer großen Info-Börse auf dem Campus, dann aber auch Ausdruck eines allgemeinen Gefühls. Es werden Erwartungen transportiert, Vorstellungen von dem Universitätsleben aufgebaut, das man ja noch gar nicht kennt. Am Ende des Tages - vielleicht auch nach einer der Stadttouren, die allesamt als ein Muss vermarktet werden ("Hier lernt man Leute kennen!") - hat man etwas geschafft - und ist es auch.

Noch haben diese deutschen Einführungswochen nicht die Dimension erreicht, die etwa aus den USA bekannt sind. Der Campus verwandelt sich dort in eine Art "Fremdgebiet": Das Kreative, das Skurrile, das Bunte dominiert. Die Welt da draußen ist irgendwie anders. Hier gilt ein anderer Takt, hier bist du Teil eines sozialen Körpers, der dich einlädt, diese Besonderheit von Bildung anzunehmen.

Diese Studieneingangsphase wird immer wichtiger. Dem Hin einfinden in das Studium wird wieder mehr Raum gegeben. Die Rede ist hier und da bereits von einem 0. Semester. Denn bald ist da die erste Vorlesung, die erste Übung, der erste Vortrag. Man erlebt viele Formate und didaktische Konzepte. Und wieder kursieren Tipps, wie man es gut macht: "Du musst zitieren." "Du musst Quellen angeben." "Deine eigene Meinung zählt in der Wissenschaft nicht." Man lernt zu recherchieren, zu extrahieren, zu komprimieren. Mancher fragt sich, was denn "in eigenen Worten" und "sinngemäß" heißt. Kurzum: Es entsteht eine Vorstellung von wissenschaftlichem Arbeiten, die einer Beherrschung bestimmter Techniken gleichkommt.

Schnell bauen sich hier auch einmal Stereotype auf, die sich von den eigentlichen Inhalten des Studiums lösen. Unwissenschaftlich erscheint dann, wenn beispielsweise in der Seminararbeit zu wenige namhafte Autoren zu Wort kommen. "Die universitäre Ausbildung", so wurde einmal klug beobachtet, "müsste [...] in erster Linie keine zur Wissenschaft, sondern zum Lesen, Nachdenken und Argumentieren sein."

Das ist im sogenannten Access-Zeitalter nicht leicht. Nicht, weil es so viele Stellen gibt, wo etwas steht. Parallel zum "analogen" Wissenschaftsbetrieb haben sich viele digitale Plattformen etabliert, die bereits auf semantischer Ebene einen Kreativitätswettbewerb betreiben. Weltweit renommierte Universitäten haben damit begonnen. Sie nennen sich Udacity (in Anlehnung an audacity = Mut) oder Coursera, um auf zukünftige Bildungswelten (Kurs+Ära) hinzuweisen. Mit hohen Kursteilnehmerzahlen und neuen Abschlüssen (Micro Master, Nano Degrees) verunsichern sie die klassische Vorstellung von Universität. Disruptives (das Wort soll radikalen Wandel verdeutlichen) gehört zum semantischen Werkzeugkasten der akademischen Angstmacher.

Wie harmlos klingt da, was vor fast 20 Jahren ein Politikwissenschaftler als Alma Mater der Zukunft beschrieb: Mit der Kreditkarte in der Hand stand er vor einem Gerät, das einem Geldautomaten glich und kommentierte kurz: "It's all information to me." Wer würde es wagen, solche Vorstellungen als unzeitgemäß zu klassifizieren? Das Internet bringt uns doch alle in Schwung. Da horcht man auf, wenn ein Ökonom behauptet, das Internet bremse den Wandel: "Es bringt die Leute dazu, zu Hause zu bleiben."

Es wird eine wichtige Aufgabe der Universitäten sein, in der sich abzeichnenden Vielfalt Orientierung zu geben. Die Einführung digitaler Lehrkomponenten eröffnet gute Chancen, den Campus attraktiver zu machen. Entscheidend aber sind immer: gute Lehre und gute Forschung. Das leistet einen Beitrag zur Belebung der Gesellschaft, der Campus und seine Bewohner werden auf Fahrt gebracht.

Selbstlernen macht zwar einen großen Teil des Studiums aus, aber meistens zu Hause alleine zu sein, kein Generationen- und Zugehörigkeitsgefühl entwickeln zu können, die Universität als rechteckiges Display zu erleben, passt nicht in eine Welt, die vom Kreativitätsimperativ lebt. Wer das mag, lähmt den Campus.
In einem unlängst erschienenen Roman las ich den Satz: "Das Leben nach der Universität hatte sie der Illusionen ihrer Studienzeit beraubt." Wer wen von was beraubt, entscheidet sich nicht erst nach dem Studium.Gastbeitrag Universitätspräsident Michael Jäckel

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