Die Vermessung des Selbst: Aufzeichnen von Gesundheitsdaten verändert den Arztbesuch

Trier · Gesünder, schöner, optimaler: Die Ära der Selbstoptimierer hat längst begonnen. Die meisten privaten Vermessungen drehen sich um den Faktor Gesundheit. "Der Körper wird zum Eigenkapital", sagt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann, "das man vermehren möchte." Das hat Konsequenzen für den Gesundheitsmarkt.

Trier. Tom M. (Name geändert) hat an einem firmeninternen "Spiel" teilgenommen. Das Ziel: die Mitarbeiter sollen sich mehr bewegen. Rund ein Drittel der Belegschaft des weltweit agierenden Unternehmens machte mit, über Büro- und Ländergrenzen hinaus wurden Teams gebildet. Acht Wochen lang zählten die Teilnehmer mithilfe eines Schrittzählers ihre Schritte. In einer "Top Ten" wurde veröffentlicht, welches Team am erfolgreichsten war.
Tom M. hat Gewohnheiten umgekrempelt: Er hat Treppen statt Aufzüge benutzt, ist eine Station früher ausgestiegen, abends öfter als gewöhnlich eine Runde gelaufen. "Die Technik ist eine große Motivationshilfe, sich mehr zu bewegen", sagt der Mittvierziger. Aber es gab auch Schattenseiten: Das Ziel habe immer im Kopf geschwirrt, sagt Tom M. Und manchmal habe er sich dabei ertappt, dass er es auf die Spitze getrieben habe, um seinem Team möglichst viele Punkte einzubringen.Möglichst viele Daten



Das Schritte zählen mutet geradezu nostalgisch an, wenn man den Markt der Selbstvermessung intensiver betrachtet: Die Bewegung Quantified Self, also die organisierten Selbstvermesser, deren Ziele es ist, möglichst viele Daten zu erheben und sich darüber intensiv auszutauschen, boomt.
Beim Stöbern auf der Plattform der deutschen "Quantified Self" Community hat man das Gefühl, auf der Seite eines Biologie-Leistungskurses gelandet zu sein: Ein Vitamin-D-Test samt Analyseplattform wird ebenso angepriesen wie ein Video, das Selbstoptimierern Infos über die biologischen Mechanismen und Funktionen des Sexualhormons Testosteron liefert; Nutzer erfahren, wie das Level mit Ernährung verändert werden kann und wie es sich auswirkt. Glück kann ebenso gemessen werden wie Urin mit der App "Ucheck". Mit der App "Stress Manager" soll der eigene Stresspegel ins Lot gebracht werden können.
Trendforscher Peter Wippermann prognostiziert: "Das neue Self Tracking wird eine neue Dimension erreichen." Self Tracking bedeutet Selbstüberwachung. "Wenn man etwas misst, kann man es scheinbar managen", sagt der Professor im Gespräch mit dem TV. Den Deutschen sei ihre Gesundheit heute wichtiger als ihre persönliche Freiheit. Das zeige der aktuelle Werte-Index 2014. "Der Körper wird zum Eigenkapital, das man vermehren möchte", sagt Wippermann. Leistungsdruck etwa führe dazu, mehr aus dem Körper machen zu wollen. Sehr populär sei Selbstüberwachung bei jungen Führungskräften.
So wie die Trierer Forscher Gerrit Fröhlich und Nicole Zillien geht Wippermann von einem Wandel des Gesundheitsmarktes aus: "Viele Liegezeiten werden wegfallen, weil Messungen, die bisher nur stationär gemacht werden konnten, mit mobilen Geräten möglich werden", nennt Wippermann einen Aspekt, der sich zukünftig wandeln wird. Fröhlich und Zillien haben in einer von der Nikolaus-Koch-Stiftung finanzierten Studie 22 organisierte Selbstvermesser interviewt. "Als erste Befunde können wir festhalten, dass digitale Selbstvermessung vor allem aus Gründen der Selbsterkenntnis und einem Wunsch nach datenorientierter Selbstbeobachtung betrieben wird", sagt Zillien. Die erhobenen Daten würden zunehmend eine Rolle beim Arztbesuch spielen. "Ärzte können die dokumentierten Langzeitbeobachtungen nutzen und in die Behandlung einfließen lassen", meint Fröhlich.
Wie sieht es in den Praxen aus? Günther Matheis, Vorsitzender der hiesigen Bezirksärztekammer sagt: "Ganz sicher ist es so, dass viele Patienten versuchen, auf unterschiedliche Art und Weise eine Selbstoptimierung vorzunehmen." Das gelte etwa für die tägliche Blutdruckkontrolle oder für Diabetiker nach entsprechender Anleitung zur Optimierung ihrer Insulintherapie. "Allerdings glaube ich, dass insbesondere ältere Menschen oftmals schlicht überfordert sind. Diese Leute können wahrscheinlich nicht mit iPhone oder ähnlichen Geräten umgehen", sagt Matheis.Ärzte sehen Trend positiv


Der Trend zur Selbstoptimierung sei Thema in der Ärzteschaft. "Je besser jemand bestimmte, für ihn relevante Werte aufzeichnet, desto einfacher ist eine medikamentöse Einstellung bei bestimmten Erkrankungen vorzunehmen. Das erspart unter Umständen unnötige Arztbesuche", meint der Ärztekammer-chef. Seiner Meinung nach sollte die Selbstoptimierung unterstützt werden, da sie auch vorbeugenden Charakter haben kann.
Trendforscher Wippermann sieht die größte Gefahr des Trends Selbstvermessung darin, "wenn man es übertreibt".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort