Die Volksversteher

"Wir haben verstanden” lautete vor einigen Jahren mal Gerhard Schröders plakative Antwort auf eine herbe Wahlniederlage. Nun sitzen sie also in einem Boot, die großen Volksparteien, die Volksversteher.

Sie glauben verstanden zu haben, was der Wähler ihnen am Sonntag in Sachsen und Brandenburg unisono per Stimmzettel in die Stammbücher geschrieben hat. Haben sie das wirklich? Man darf getrost skeptisch sein. Denn in den Berliner Parteizentralen lauten die Lehren vom Wahltag trotz der großen Erklärungen doch so: Unser Ministerpräsident kann mit wem auch immer weiter regieren. Die Macht ist gesichert, ein Glück. Ziemlich enttäuschend ist diese Form von politischer Verdrängung und Schönrederei angesichts der Verängstigung und des Frustes vor allem im Osten, der sich in den deftigen Denkzetteln für beide Parteien entladen hat. CDU und SPD machen es sich derzeit aber nicht schwieriger als es für sie sowieso schon ist. Nicht noch mehr Wähler sollen für das jeweilige Lager verprellt werden. "Kurs halten”, folgert also die Union aus ihren katastrophalen Verlusten. Mit Verlaub: Welcher Kurs ist gemeint? Kursklärung wäre wohl angebrachter. Angela Merkel spielt nämlich ein gewagtes Spiel - je länger sie den inhaltlichen Streit innerhalb der Union treiben lässt, desto angreifbarer wird die CDU-Vorsitzende selbst. Und desto lauter werden die Bürger fragen, wofür Merkels Partei eigentlich steht. Hartz hat gezeigt: Nur mit Glück haben sich die Schwarzen bis zum schwarzen Sonntag darum herum gemogelt, mit den Reformen identifiziert zu werden. Dieses Glück hat die Union nun zu Recht verlassen. Die Konsequenz kann daher nur lauten: Klarheit muss endlich her. Die Trendwende ist offenkundig, ist hingegen das Fazit der standfesten Genossen, nachdem sie in Sachsen einstellig (!) abgeschnitten und in Brandenburg deutlich verloren haben. Prinzip Hoffnung. Keine Frage, es ist ein psychologisch ungemein wichtiges Signal, dass die SPD in Brandenburg weiter den Ministerpräsidenten stellen kann. Und dass sie nun vermutlich auch noch in Sachsen in die Regierungsverantwortung stolpert, verdient das Prädikat aberwitzig. Aber die Wahlen im kommenden Jahr in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen werden zeigen, ob die Jubelrufe von heute mehr als nur Gesundbeterei sind. nachrichten.red@volksfreund.de

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