Die wahre Geschichte der Jagd nach Osama bin Laden

Washington · Seit Senatorin Feinstein die Veröffentlichung des Berichts über CIA-Folterprogramme durchgesetzt hat, kommen immer mehr brisante Details ans Licht. So haben nicht "verschärfte Verhöre" die US-Ermittler auf die Spur von Terroristenchef Bin Laden geführt, sondern ein beim Teetrinken plauderndes Al-Kaida-Mitglied.

Washington. Der Weg zu Osama bin Laden führt über das Kurdengebirge im Norden Iraks. Dort wird im Januar 2004 Hassan Ghul festgenommen, ein Mitglied des Terrornetzwerks Al-Kaida. Ghul erzählt seinen kurdischen Vernehmern, dass Osama bin Laden mit seiner Familie irgendwo in Pakistan lebt, wohl in der Gegend um Peschawar. Wahrscheinlich habe er nur wenige Leibwächter um sich, womöglich sei es nur ein einzelner Kurier, der ihn beschütze. Der Mann organisiere nicht nur den Kontakt zu den versprengten Resten des Netzwerks, er kümmere sich um alles, was Bin Laden brauche. Man kenne ihn unter seinem Nom de Guerre (Kampfnamen) Abu Ahmad al-Kuwaiti.
Sieben Jahre darauf, am 2. Mai 2011, erschießt eine Eliteeinheit der Navy Seals den Al-Kaida-Chef in dessen Wohnhaus am Rande der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad. Die CIA nutzt den Erfolg, um zu rechtfertigen, dass sie Gefangene folterte. Die Operation Neptune Spear ist so etwas wie ihre Trumpfkarte.
Die Spur zum Versteck


Ohne "verschärfte Verhöre", gibt selbst ihr damaliger Direktor Leon Panetta zu verstehen, ein Parteifreund des Präsidenten Barack Obama, angetreten als Reformer, hätte man das Versteck Bin Ladens sicher nicht aufgespürt. Gut drei Jahre später erklärt Dianne Feinstein, die 81-jährige Senatorin aus San Francisco, die Geschichte, wie sie bisher immer erzählt wurde, zu einer Legende. Ghul, bislang höchstens eine Fußnote der Bin-Laden-Saga, wird nun zum Kronzeugen. Prägnanter als jeder andere symbolisiert er die Kernthese der Demokraten im Geheimdienstausschuss des Senats, deren Bericht akribisch nacherzählt, was in den Folterkammern der CIA geschah: Menschen zu quälen ist nicht nur inhuman, es bringt auch nichts.
Als Ghul von Experten der kurdischen Autonomieregierung befragt wird, "saß er buchstäblich da und trank Tee", zitiert die Studie eine frühere CIA-Beamtin namens Nada Bakos. "Er war nicht eingesperrt in eine Zelle, er war nicht angekettet an irgendwas. Es war eine munter dahinfließende Unterhaltung." Ghul habe gesungen wie ein zwitschernder Vogel, berichtet ein beteiligter Agent, als die CIA den Häftling von den Kurden übernimmt. "Er hat sich sofort geöffnet und war von Anfang an kooperativ."
Nach zwei Tagen normaler Befragung wird er in eines der Geheimgefängnisse gebracht. Sein Bart wird abrasiert, sein Haar stoppelkurz geschnitten, er muss sich nackt an eine Wand stellen, die Hände überm Kopf, beim ersten Mal zwei Stunden lang. Nach 59 Stunden Schlafentzug beginnt er zu halluzinieren. Einmal klagt er über Rückenschmerzen, worauf seine Vernehmer entgegnen, die Schmerzen würden aufhören, sobald er die Wahrheit sage. Ghul gibt nichts mehr preis, jedenfalls nichts von Belang. Was er über Bin Ladens Kurier wusste, hat er bereits in Kurdistan zu Protokoll gegeben. Der Geheimdienst bleibt bis heute dabei, dass es anders war. Ohne die "verbesserten Verhöre" hätte man den Fokus nie auf Al-Kuwaiti gerichtet, schreiben drei CIA-Direktoren im Ruhestand, George Tenet, Porter Goss und Michael Hayden, in einer Kolumne des Wall Street Journal. Bereits drei Tage nach dem Tod Bin Ladens hatte ein CIA-Beamter dem Senate Intelligence Committee hinter verschlossenen Türen anvertraut, vor allem zwei Gefangene hätten dem Dienst geholfen, die wahre Bedeutung des Kuriers zu verstehen: Khalid Scheich Mohammed und Abu Zubaida. 183 Mal der Wasserfolter des simulierten Ertränkens unterzogen, soll KSM, wie die Amerikaner Mohammed nach seinen Initialen meist nennen, die entscheidenden Hinweise gegeben haben.
In Wahrheit, so ist in Feinsteins Studie nachzulesen, versuchte der mutmaßliche Chefplaner der 9/11-Anschläge seine Vernehmer in die Irre zu führen. Al-Kuwaiti charakterisierte er als kleines Licht, als einen von vielen, die Briefträgerdienste für Al-Kaida übernahmen.
Der Hollywoodstreifen


Abu Zubaida, im August 2002 der Erste, an dem die Foltermethoden ausprobiert wurden, hat den Mann überhaupt nicht erwähnt. "Es gibt keine CIA-Aufzeichnungen, die belegen, dass Abu Zubaida im Jahr 2002 über Al-Kuwaiti sprach", konstatiert der Senatsreport. In seinem Adressbuch, auf der achten Seite, fand sich zwar die Telefonnummer des Boten. Das Verzeichnis aber hatten pakistanische Fahnder bereits sichergestellt, als sie im März 2002 das Versteck des Palästinensers stürmten.
Muss also auch Hollywood die Geschichte noch einmal erzählen, diesmal richtig? Kathryn Bigelow, deren für den Oscar nominierter Streifen "Zero Dark Thirty" eher die offizielle Version der Schlapphüte übernahm, belässt es vorerst bei salomonisch klingenden Worten. "Es ist kompliziert", sagt die Filmemacherin in der Daily Show des Satirikers Jon Stewart. "Sehr, sehr, sehr kompliziert."Extra

Mit Folter erpresste Geständnisse von Terrorverdächtigen sind für Generalbundesanwalt Harald Range tabu. Die deutschen Sicherheitsbehörden seien zwar auf eine enge internationale Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung angewiesen - "auch und gerade mit US-amerikanischen Behörden", betonte Range am Donnerstag. Er unterstrich aber zugleich: "Das Folterverbot gilt absolut." Der Generalbundesanwalt betonte: "Beweise, die auf Folter beruhen, dürfen im Strafverfahren in Deutschland nicht verwendet werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, das hat der Bundesgerichtshof entschieden - und das ist auch meine klare Linie."

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