Die Wiederkehr des längst Abgeschriebenen

Columbia/Charleston · Durch einen Überraschungssieg von Newt Gingrich bei der US-Vorwahl in South Carolina ist das Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur wieder völlig offen. Der einstige Parlamentspräsident gewann bei der Abstimmung am Samstag unerwartet deutlich gegen den Favoriten Mitt Romney.

Columbia/Charleston. Totgesagt hatten die Demoskopen und meisten US-Medien schon Newt Gingrich nach den ersten beiden Vorwahlrunden. Doch nun läuft zwei Stunden vor Mitternacht der Song "Only in America" vom Tonband, und der auf der Bühne im Scheinwerferlicht arg schwitzende Parteiveteran feiert - umjubelt von Anhängern - mit 40 Prozent der Stimmen nicht nur einen überraschend klaren Sieg in South Carolina, sondern auch die politische Auferstehung. Kleinlaut gestand sein wichtigster Konkurrent Mitt Romney (28 Prozent) zuvor ein: "Das Rennen wird jetzt noch interessanter". So umschreibt man unerwartete Niederlagen, die Langzeit-Folgen haben könnten.
Denn obwohl der oft kühl wirkende Romney weiter über die größte Organisation und die fettesten Bankkonten der verblieben vier Bewerber verfügt, so hat doch Gingrich am Samstagabend in seiner Rede klargemacht, wie er es bis zur Nominierung schaffen will: Als Versöhner in den eigenen Reichen - und als giftige Speerspitze im Kampf gegen Barack Obama. In South Carolina gewann Gingrich auch, weil man dort glaubt, dass er Obama schlagen kann - eine These, die bisher nur für Romney galt. Und Gingrich machte deutlich, dass der amtierende Präsident nicht mit Gnade rechnen darf. So scharf wie nie zuvor sind seine Attacken gegen Obama: Er sei eine "Gefahr für dieses Land", er wolle ein "sozialistisches System mit radikalen Ideen im Stile Europas".
Vor allem der neue Slogan Gingrichs, er werde - anders als der "Lebensmittelmarken-Präsident Obama" - zum "Präsident der Gehaltsschecks" werden, kam bei Wählern wie Maurice Washington an. Eigentlich wollte der 51-jährige Finanzberater aus Charleston für Mitt Romney stimmen. Am Ende machte er dann doch für Gingrich das Kreuzchen. Die dramatische Wende verdankt Gingrich vor allem der Rolle des Fernsehens. Zwei Drittel aller Wähler sagten: Die Fernseh-Debatten, bei denen Romney die rasche Veröffentlichung seiner Steuererklärungen ablehnte, hätten ihre Entscheidung beeinflusst. Und hier hat - sicher ungewollt - CNN für den bis dahin zurückliegenden Gingrich den Startschuss zum siegreichen Sprint gegeben. Moderator John King hatte am Donnerstag mit einer intimen Frage zur zweiten Ehe Gingrichs die Diskussion eröffnet - und eine scharfe Wut-Reaktion des Angesprochenen provoziert, der CNN und anderen Sender eine Präferenz für Obama unterstellte.
Die Saal-Zuschauer bedachten Gingrichs emotionale Reaktion mit stehenden Ovationen. Die linken Medien - neben dem "Establishment in Washington" - als Feind: Da sammelten sich die konservativen Massen schnell um den Attackierten. Sowohl Romney wie auch Gingrich kämpften zudem mit allen denkbaren Tricks erbittert um jede Stimme. Die Worte des mittlerweile ausgeschiedenen John Huntsman, das Rennen sei zu einem "entwürdigenden Schauspiel" degeneriert, hatten niemals mehr Wahrheit als in den letzten Tagen. Da gab es anonyme Flugblätter, gefälschte E-Mails und automatisierte Anrufe, mit denen kübelweise Schmutz über die Gegner geschüttet wurde. Nach der von US-Analytikern als "verrückt" bezeichneten Stimmungswende und dem nun absehbaren Vorwahl-Marathon richten sich nun alle Augen auf Florida. Dort könnte Romney wieder die Nase vorn haben. Er verfügt im "Sunshine-State" über eine gute Basis-Organisation und den finanziellen Rückhalt für eine Flutwelle an Fernseh-Werbespots. Zudem gilt Florida als liberaler als South Carolina.
Wie Gingrich dort und in den weiteren Vorwahl-Staaten dennoch punkten will, hat der Überraschungssieger am Samstagabend erkennen lassen: "Leute mit großen Ideen können die Leute mit viel Geld besiegen." Und Gingrichs Idee ist einfach: Barack Obama zum großen Sündenbock für die Job-Krise zu machen - und sich selbst als Heilsbringer der Mittelschicht zu verkaufen.
Meinung

Zerrissene Partei
Lange Zeit sah Mitt Romney wie der klare Favorit bei den Vorwahlen in den USA aus. Doch seit am Samstag der Multimillionär gegen den Parteiveteranen Newt Gingrich in South Carolina überraschend deutlich den Kürzeren zog, sind die Karten neu gemischt. Der vielen in der Reagan-Partei als zu liberal verdächtige Romney macht nun die Erfahrung, dass Geld allein im Wahlkampf nicht glücklich macht. Denn der selbst ernannte Moralapostel Gingrich profitierte vor allem von einem kuriosen Nebeneffekt des in eine beispiellose Schlammschlacht ausgearteten Wettbewerbs: Weil es Fernsehsender gewagt hatten, seine persönliche Vergangenheit, seine Ehen und seine Moralvorstellungen mit Hilfe einer Ex-Frau unter die Lupe zu nehmen, schlug sich nun über Nacht eine große Zahl mit Gingrich sympathisierender Wähler auf die Seite des sich ungerecht attackiert fühlenden Bewerbers. Diese Mitleidswoge sagt wiederum nichts über die politische Qualifikation Gingrichs aus, der als ehemaliger Kongresspolitiker und früherer Sprecher des Repräsentantenhauses nicht gerade als ethisch einwandfreies Vorbild gilt. Die Sympathiewende belegt aber eines: Die Unsicherheit und Zerrissenheit der Republikaner-Basis beim Versuch, dem geschwächten Barack Obama einen starken und chancenreichen Gegenspieler zu präsentieren. Die ersten drei Vorwahl-Runden haben nun drei verschiedene Sieger gesehen, Amerikas Konservativen droht jetzt ein langes und zermürbendes "Primary"-Schauspiel bis in den Frühsommer. Legen die derzeit noch vier Kandidaten dabei wie bisher so brutal die Finger in die Wunden der anderen, dürfte sich vor allem einer die Hände reiben: Präsident Barack Obama. nachrichten.red@volksfreund.de

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