Die Wirtschaft brummt

Die Bundesregierung muss die Bürger nach Ansicht der führenden Forschungsinstitute bald mit Steuersenkungen entlasten, um die florierende Wirtschaft in Schwung zu halten. Gestern stellten die Experten ihr Frühjahrsgutachten vor.

Berlin. (vet) Der kräftige Aufschwung hat die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute auf dem falschen Fuß erwischt. In ihrem Frühjahrgutachten vom April 2006 hatten sie das Wachstum nur auf eher magere 1,8 Prozent taxiert. Tatsächlich wurden es im Vorjahr 2,7 Prozent. Auch bei ihrer Herbstprognose sechs Monate später überwog noch der Pessimismus. Für 2007 sollte das Bruttoinlandsprodukt nur um 1,4 Prozent zulegen. Gestern revidierten sich die Experten nun gründlich: In ihrer neuesten Schätzung korrigierten sie das Plus um ein auf 2,4 Prozent nach oben. Die "Schleier" hätten sich gelichtet, meinte Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle gestern bei der Vorstellung des Gutachtens. "Es ist jetzt klar, der Aufschwung hat sich gefestigt." Darüber freute sich die Bundesregierung natürlich besonders. Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ließ verlauten, dass er in seiner Frühjahrsprojektion, die am kommenden Mittwoch vorgestellt wird, ebenfalls von mindestens zwei Prozent plus ausgehen werde. Gegenwärtig liegt den Haushaltsplanungen noch eine Prognose von 1,7 Prozent zu Grunde. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kam aus der Deckung. Überraschend kündigte er an, erstmals wieder im Jahr 2010 einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden anzustreben. Im laufenden Jahr ist der Bund noch auf Kredite von knapp 20 Milliarden Euro angewiesen, um seine Ausgaben zu decken. Nach Ansicht der Wirtschaftsforscher könnte Steinbrück sogar schon 2008 ohne neue Schulden auskommen. Dies würde jedoch größere Einsparungen voraussetzen, welche das Gutachten freilich nur in allgemeiner Form postuliert. Zugleich warnten die Experten Union und SPD davor, in ihren Reformanstrengungen nachzulassen. Klares Nein zu Mindestlöhnen

Vor allem Glos erhielt Rückdenkung für seine umstrittene Idee, die Lohn- und Einkommenssteuer mittelfristig weiter zu senken. Um die Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern, sei ein weiterer Umbau des Arbeitsmarktes erforderlich. Einen Mindestlohn lehnten die Institute jedoch kategorisch ab. Im Kontrast dazu hatte Arbeitsminister Franz Müntefering seine Forderung nach einem generellen Mindestlohn gestern bekräftigt. Kombiniert mit branchenspezifischen Mindestlöhnen sei er die ideale Lösung, um "blanke Ausbeuterei" zu verhindern, meinte der SPD-Politiker. Ansonsten dürfte auch Müntefering dem Gutachten viel Positives abgewinnen, denn gerade für den Arbeitsmarkt prognostizieren die Experten deutlich mehr als nur den sprichwörtlichen Silberstreif am Horizont. So werde die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt erstmals seit 2001 wieder unter der Marke von vier Millionen liegen. Gegenüber 2006 erwarten die Forscher eine Abnahme von rund 700 000 Betroffenen. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 8,7 Prozent (2006: 10,3 Prozent). Meinung Keine Euphorie Besser, die Prognosen bleiben hinter dem Aufschwung zurück als umgekehrt. Tatsächlich hat sich die gute Konjunktur verfestigt. Entgegen allen Befürchtungen schlug die Anhebung der Mehrwertsteuer nicht so furchtbar zu Buche, die Konsumlaune hat sich aufgehellt, und die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind prall gefüllt. Großkoalitionäre Euphorie ist trotzdem fehl am Platze. Selbst wenn der Haushalt in absehbarer Zeit ohne neue Kredite auskäme, sitzt der Staat weiter auf einem Schuldenberg.

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