"Diese Koalition besteht aus drei Parteien"

BERLIN. Nach einem Verhandlungsmarathon von sieben Stunden war am Donnerstag um zwei Uhr früh die Gesundheitsreform geschafft. Oder auch nicht. Denn in der Pressekonferenz hinterher betonte Edmund Stoiber überraschend, dass alles "unter dem Vorbehalt der genauen Prüfung des Gesetzes" stehe.

Reger nächtlicher Betrieb herrschte in der sonst so stillen Sky-Lobby des Kanzleramts. Bayerische Landesbeamte wieselten mit Berechnungen hin und her. CSU-Chef Edmund Stoiber hatte sie mitgebracht. Dann kam laut diskutierend die christdemokratische Verhandlungsdelegation herunter, um sich in Angela Merkels Büro zu beraten. Und schließlich wechselte die Kanzlerin selbst zusammen mit SPD-Chef Kurt Beck und Stoiber für ein langes Sechs-Augen-Gespräch den Raum. Nach Stoibers Vorbehaltsäußerung, als Angela Merkel am nächsten Tag schon im Flugzeug Richtung Ankara saß, erklärten auch verschiedene CDU-Ministerpräsidenten, man müsse die "Feinheiten" noch prüfen. "Es ist nicht auszuschließen, dass es an einigen Punkten noch Diskussionsbedarf im Bundesrat gibt", sagte Saar-Ministerpräsident Peter Müller kurz nach einer Schaltkonferenz des CDU-Bundesvorstands. Schon dort war Merkel vor allem von den Landesfürsten mit Fragen bestürmt worden. 95 Prozent der Gesundheitsreform hatte die Koalition bereits Anfang Juli geklärt, aber der Rest hatte heftigen Streit verursacht. Es ging dabei zuletzt mehr um die Interessen der reichen Länder als um die Differenzen zwischen den Koalitionspartnern. Deren Thema, ob der Zusatzbeitrag, den die Krankenkassen künftig erheben dürfen, maximal ein Prozent oder mehr vom Einkommen betragen darf, wurde schnell erledigt. Es bleibt bei einem Prozent, wie die SPD wollte. Bis acht Euro wird eine Einkommensüberprüfung nicht vorgenommen, was nicht nur die SPD-Linke als Vorboten einer Kopfpauschale ansieht.Einstieg in die Prämienorientierung?

Auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) legte gestern den Finger in diese Wunde und triumphierte, das sei ein "Einstieg in ein prämienorientiertes Gesundheitssystem". Nachgeben musste die SPD bei der privaten Krankenversicherung. Der Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung ist weiterhin nicht möglich. Allerdings müssen die Privaten künftig einen Basistarif ohne Gesundheitsprüfung anbieten, was Ministerin Ulla Schmidt (SPD) als besonderen Erfolg hervorhob. Regelrecht gefeilscht wurde um den neuen Gesundheitsfonds. Er wird nun erst zum 1. Januar 2009 kommen, also erst nach den Wahlen in Bayern, Hessen und Niedersachsen. Eine klare Rücksichtnahme auf die Wahlkämpfer Stoiber, Koch und Wulff, wie FDP-Chef Guido Westerwelle meinte. Er fand allerdings ohnehin, dass der Fonds "nicht verschoben, sondern beerdigt gehört". So wie auch die Industrieverbände die gesamte Reform heftig kritisierten: "Sitzen geblieben", lautete das Zeugnis des BDI, "alle wesentlichen Ziele verfehlt" das des BDA. Eine Erkenntnis einte angesichts des Gebarens des Bayern Stoiber nach dieser Nacht die Vertreter von SPD wie CDU: "Diese Koalition besteht aus drei Parteien."

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