Dramatische Finanzsituation der Kommunen

Der stärkste Steuereinbruch seit Jahrzehnten hat die Finanznot von Städten und Gemeinden verschärft. Das Finanzierungsdefizit der Kommunen wuchs 2009 auf 7,1 Milliarden Euro. Der TV sprach mit Stephan Articus, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, über die schwierige Situation.

Berlin. (vet) Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden verzeichneten die Städte und Gemeinden im Vorjahr ein Defizit von 7,1 Milliarden Euro. 2008 waren es noch 7,7 Milliarden Euro Überschuss. Über die schwierige Situation sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus:

Herr Articus, wie beurteilen Sie die aktuelle Finanzsituation der Kommunen?

Articus: Der Absturz aus einem positiven Saldo auf dieses Defizit ist dramatisch. 2010 wird sich die Finanzlage der Städte sogar noch weiter verschlechtern. Dann müssen wir nach bisherigen Schätzungen mit einem Defizit von zwölf Milliarden Euro rechnen. Es muss also dringend etwas geschehen, damit Einnahmen und Ausgaben der Kommunen nicht immer weiter auseinanderdriften.

Welche Maßnahmen sind für Sie vorrangig?

Articus: Wir brauchen besonders eine spürbare Entlastung bei den erdrückend hohen Sozialausgaben. In einem ersten Schritt muss der Bund darauf verzichten, seine Beteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose zu senken.

Wird es auch einen Personalabbau in den Ämtern und Behörden geben?

Articus: Im Personalbereich ist in den vergangenen Jahren schon viel konsolidiert worden. Das heißt nicht, dass gar nichts mehr möglich wäre. Wie in anderen kommunalen Feldern auch stößt man aber irgendwann an Grenzen. Denn wir wollen ja weiterhin den Bürgerinnen und Bürgern verlässliche Leistungen anbieten, etwa durch den weiteren Ausbau der Kinderbetreuung.

Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind um ein Fünftel eingebrochen. Müssen die Kommunen nicht über neue, verlässlichere Finanzierungsinstrumente nachdenken?

Articus: Bisher hat niemand einen gleichwertigen Ersatz für die Gewerbesteuer gefunden. Wir stellen uns dennoch der Diskussion. Bei allen Ersatzlösungen muss aber die Frage beantwortet werden: Wer zahlt diesen Ersatz? Soll wirklich eine höhere Belastung der Bürger durch Zuschläge der Kommunen auf die Einkommensteuer entstehen?

Die Bundeskanzlerin hat vor wenigen Tagen versichert, dass Steuersenkungen nicht mit dem "Ausbluten" der Kommunen erkauft werden dürften. Ist das für Sie beruhigend?

Articus: Das ist für die weitere Debatte auf jeden Fall ein positives Signal. Denn das Drängen vor allem des kleineren Koalitionspartners zu weiteren Steuersenkungen beunruhigt viele Kommunen. Wir sagen ganz klar: Die Städte können im Moment keine weiteren Steuersenkungen verkraften, die Grenze unserer Belastbarkeit ist bereits durch das Wachtstumsbeschleunigungsgesetz überschritten worden.

Die Konsequenz aus Merkels Worten hieße also, dass sich Steuersenkungen verbieten?

Articus: Ich sehe vor allem folgende Konsequenz: Wenn es wirklich weitere Steuersenkungen geben sollte, dann müssten die Kommunen einen Ausgleich dafür erhalten. Denn unsere Haushalte sind schon so durchlöchert, dass sie sonst vollends aus den Fugen geraten würden.

EXTRA Die schwierige Finanzlage vieler Kommunen wird sich nach Einschätzung des Deutschen Städtetags kurzfristig nicht verbessern. "Erst ab 2013/2014 wird es wieder besser werden in den Kommunen", sagte die Präsidentin des Deutschen Städtetags, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU), am Dienstag voraus. "Die Finanzkrise ist in den Kommunen angekommen." Das Statistische Bundesamt teilte am Dienstag mit, dass die Kommunen das vergangene Jahr mit einem Haushalts-Minus von zusammen 7,1 Milliarden Euro abgeschlossen haben. Hauptursache waren die stark gesunkenen Steuereinnahmen. Roth sagte: "Alle Steuereinnahmen sind zurückgegangen." (dpa)

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