Drei Fragen an … Martin Endreß

"Ich krieg\' die Krise", heißt es im Alltagsjargon. Angesichts von mehr als 31 Millionen Treffern bei der Google-Suche liegt es nahe, dass das Wort ein Allerweltsbegriff geworden ist.

Muss ich seine Verwendung denn überhaupt noch ernst nehmen?Martin Endreß: Man muss Menschen immer ernst nehmen. Aber es stimmt, der Begriff wird inflationär gebraucht. Ob Familienkrise, Beziehungskrise, Gesellschaftskrise, Sport in der Krise: Seine Verwendung hat auffällig dort zugenommen, wo die Akteure selbst davon sprechen. Wie krisenfest ist denn die deutsche Gesellschaft?Endreß: Nicht jede Krise ist in ihrer Substanz auch eine, die gesellschaftsbedrohlich ist. Und nicht jede politische Entscheidung stürzt eine Gesellschaft gleich in die Krise. Daher täte allen eine etwas entdramatisierte Sprachpolitik gut. Denn der Alltag ist ja nicht so. Ohne Situationen verharmlosen zu wollen: Den Begriff Umbruch fände ich besser, nicht immer wie etwa in der Ukraine oder im Irak, wo Gewaltphänomene hinzukommen. Hier ist die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gut, um aktuelle Situationen besser einordnen zu können. Ihre 60 Kongresshelfer bekommen alle ein T-Shirt mit der Aufschrift "Krisen-Routinier". Ein Tipp an unsere Leser: Wie wird man Krisen-Routinier?Endreß: Zunächst ist dies eine Spielerei, die unseren Kongressteilnehmern zeigen soll, dass immer jemand da ist, der ihnen hilft. Im Ernst: Ratschläge sind immer hochgradig abhängig von der sozialen Lage eines jeden Einzelnen. Deshalb dürfen es keine Ratschläge der Satten sein. Dennoch: Wenn man die Chance hat, sollte man mit ein wenig Gelassenheit auf das Leben schauen und nicht Aktionismus verfallen. sasExtra

Martin Endreß, Jahrgang 1960, ist seit 2010 Professor für Allgemeine Soziologie an der Uni Trier. Seine Spezialität ist die Beschäftigung mit politischen Konstellationen, Krisen und gesellschaftlichen Fragen. Er ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift Human Studies und Dekan des Fachbereichs IV. Beim Soziologenkongress ist er Sprecher des Trierer Organisationsteams. sas

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