Dreisatz, Rechtschreibung und Zuverlässigkeit

TRIER. "Jeder, der einen Ausbildungsplatz sucht und zur Ausbildung fähig ist, muss einen Ausbildungsplatz bekommen." Das hat Bundeskanzler Gerhard Schröder bei seiner "Ruck-Rede" versprochen. Doch die Lage für heutige Schulabgänger ist komplizierter denn je.

Schon immer war es schwierig, eine Ausbildungsstelle im Traumberuf zu ergattern. Doch seit die Wirtschaftskrise die Unternehmen lähmt, scheint die Jobvergabe noch höhere Anforderungen an künftige Azubis zu stellen. Denn immer weniger Betriebe bilden überhaupt aus. Selbst in guten Jahren stellt nur etwa jeder dritte Betrieb einen Ausbildungsplatz zur Verfügung. Organisatorischer Aufwand, dreijährige Bindung und kurzfristig rekrutierbare Fachkräfte - für viele Unternehmen scheinen "Stifte" wenig attraktive Beschäftigte zu sein, zumal, wenn es wie in der Region Trier viele Ein-Mann- und Kleinst-Betriebe gibt. So verzeichnet das Trierer Arbeitsamt derzeit 600 offene Stellen weniger als zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr - ein Minus von 18,6 Prozent. "Atypisch ist, dass 400 Stellen davon im gewerblich-technischen Sektor fehlen - ein Zeichen dafür, dass im Handwerk und in der Industrie die Fahnenstange noch nicht erreicht ist", sagt Toni Thull, Berufsberater beim Arbeitsamt Trier. Und so rechnet er damit, dass von etwa 4500 Schulabgängern über 300 in diesem Jahr keine Stelle finden werden. Dennoch: Es scheinen auch bei uns noch Kapazitäten frei zu sein und somit Hoffnung für viele Jugendliche zu bestehen. So will das Arbeitsamt Trier in der gesamten Region über 1000 zusätzliche Betriebsbesuche vereinbaren, um weitere Ausbildungsstellen zu rekrutieren. "Wir versuchen loszueisen, was möglich ist, aber Stellen schaffen kann nur die Wirtschaft", sagt Thull. Die hält allerdings nichts davon, die Betriebe zur Ausbildung zu zwingen. "Das ist das falsche Mittel und wird keinen Ausbildungsplatz schaffen. Im Gegenteil, Betriebe können sich freikaufen", sagt Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der Trierer Industrie- und Handelskammer (IHK). "Ernste Alarmzeichen"

Dennoch sieht auch Rössel Handlungsbedarf und die aktuelle Lage als "ernstes Alarmzeichen" an. Denn allein jeder fünfte IHK-Betrieb will seine Ausbildungsplätze verringern. Vor allem in den Kreisen Bitburg-Prüm und Trier-Saarburg ist ein regelrechter Ausbildungsplatz-Abbau vorgesehen, wenn sich die Stimmung nicht verbessert. Davon wären dann vor allem die Branchen Handel und Banken betroffen. Aber auch im Handwerk der Region herrscht Krisenstimmung. Mit einem Rückgang der neuabgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2002 von sieben Prozent liegt der Kammerbezirk Trier über dem Landestrend von 5,5 Prozent. "Wir haben große Sorge, dass die Zahl der gemeldeten Stellen hinter der des Vorjahres bleibt", sagt Günther Behr, Geschäftsführer für den Bereich Ausbildung bei der Handwerkskammer (HWK). Doch nicht nur die Wirtschaftsmisere scheint die Unternehmen von der Bereitstellung von Stellen abzuhalten. So ließen sich 15 Prozent der im vergangenen Jahr von IHK-Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze erst gar nicht besetzen - weil die Bewerber nicht geeignet oder erst gar keine Bewerbungen eingegangen waren. "Es klingt banal, aber rechnen, lesen, schreiben - viele Bewerber können dies nicht", sagt Marcus Kleefisch, Aus- und Weiterbildungsleiter bei der IHK Trier. Unbesetzt seien vor allem Stellen im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Einzelhandel, aber auch bei den Industrie-Mechanikern, Medien-Gestaltern und Energie-Elektronikern geblieben. Auch das Nahrungsmittel-Gewerbe und der Metall-Bereich gelten als Problem-Branchen. Behr fordert: "Interesse am Beruf und Zuverlässigkeit - das sind keine überzogenen Vorstellungen." Doch auch der Kontakt zwischen Schule und Betrieb lässt zu wünschen übrig, nur 40 Prozent der IHK-Betriebe haben Kontakte zur Penne. Weil die Schulen im Dualen Bildungssystem jedoch neben den Betrieben Partner sind, wollen die Kammern verstärkt auf Schüler und Lehrer zugehen. "Schon heute sind sie nicht mehr gleichberechtigt, weil die Ausstattung der Schulen mangelhaft ist und genügend Fachkräfte fehlen", sagt Rössel. Schulpatenschaften, Betriebserkundungen und Schüler- und Lehrerpraktika - sie sollen für einen reibungslosen Übergang von der Schule in den Beruf sorgen. Doch selbst wer Dreisatz und Rechtschreibung beherrscht, kann noch einiges tun, um seine Chancen zu verbessern. Berufsberater Toni Thull rät: Kontakt zur Berufsberatung halten und auch über alternative Berufe nachdenken. Internet-Recherche auch über das Asis-System des Arbeitsamtes. Über eine weitere Qualifikation in einer anderen "Schulform" nachdenken. Betriebe über Kontakte und Telefonbuch ausfindig machen und auf Stellen hin abklopfen. In den Osterferien ein Praktikum machen und in viele Berufe hineinschnuppern

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