Ebbe im Geldbeutel schmälert Wahllust

Berlin · Einkommensschwache Menschen gehen immer seltener wählen. Zugleich finden die Interessen der Ärmeren dadurch auch politisch weniger Berücksichtigung als die der Gutverdiener. Zu diesem ernüchternden Befund kommt der noch unveröffentlichte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.

Ebbe im Geldbeutel schmälert Wahllust
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Berlin. Dass die Wahlbeteiligung zurückgeht, ist nicht neu. Weniger Aufschluss gibt es bislang über die näheren Umstände dieser Entwicklung. Im Entwurf des Armuts- und Reichtumsberichts, der unserer Zeitung vorliegt, wird das Problem unter sozialen Aspekten beleuchtet. Ein alarmierendes Ergebnis: "Während Haushalte mit einem hohen Einkommen 2012 nur eine geringfügig niedrigere Wahlwahrscheinlichkeit aufweisen als 1980, hat sich die Wahlwahrscheinlichkeit für Haushalte mit einem niedrigen Einkommen fast um ein Viertel reduziert."
Als Beispiel wird das starke Beteiligungsgefälle in den 28 größten deutschen Städten bei der Bundestagswahl vor drei Jahren angeführt. So hätten in den Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung fast zehnmal so viele Menschen (67 Prozent) zu den einkommensschwachen Haushalten gehört wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung (sieben Prozent). Besonders stark ausgeprägt war dieser Zusammenhang bei den Arbeitslosen. In den Stadtteilen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung waren fast fünfmal so viele Menschen ohne Job wie in den Stadtteilen mit der höchsten Wahlbeteiligung. Mit zunehmenden Einkommen steige auch das politische Interesse, so die Autoren.
Eine gesonderte Studie hat ermittelt, wie der Bundestag die Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen berücksichtigt. Auch hier ist das Ergebnis bedenklich: Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikänderung sei "wesentlich höher", wenn sie von einer "großen Anzahl von Befragten mit höherem Einkommen unterstützt wird". Für die untere Einkommensgruppe zeige sich dagegen "sogar ein leicht negativer Zusammenhang". Befürworten also viele sozial schwache Menschen eine politische Änderung, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich damit durchsetzen. Fazit der Untersuchung: Es bestehe "eine klare Schieflage in den politischen Entscheidungen zulasten der Armen". Damit drohe ein sich verstärkender Teufelskreis aus ungleicher Beteiligung und unterschiedlicher politischer Berücksichtigung, "bei dem sozial benachteiligte Gruppen merken, dass ihre Anliegen kein Gehör finden und sich deshalb von der Politik abwenden". Die Politik wiederum orientiere sich "noch stärker an den Interessen der Bessergestellten". Laut Berichtsentwurf entfällt auf die vermögenstärksten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens. Die Haushalte in der unteren Hälfte verfügen dagegen nur über ein Prozent.

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