Ehrliche Emotionalität

Auftritte deutscher Politiker im israelischen Parlament sind immer eine heikle Gratwanderung. Spätestens seit Helmut Kohls gut gemeintem, aber unselig formuliertem Satz von der "Gnade der späten Geburt" bei seiner Rede im Jahr 1984 wissen die Kanzler und Präsidenten, dass jedes in der Knesset gesprochene Wort auf die Goldwaage gelegt wird - in Deutschland wie in Israel.

Horst Köhler hat in seiner Ansprache eine Tonart gefunden, die offenkundig ankam. Gerade weil sie nicht nach Routine klang, und weil sie sich von Jerusalem aus nach Deutschland richtete. Die Aufforderung, sicher zu stellen, dass die Lehren aus dem Völkermord an den Juden von einer Generation an die nächste weiter gegeben werden, galt weniger den Gastgebern als den eigenen Bürgern. Gut, dass parallel in Israel die Stimmen derjenigen leiser werden, die einen unversöhnlichen Hass gegen alles Deutsche predigen. Aber die Versöhnung steht auf dünnem Eis. Wie sensibel im Land der Opfer das Geschehen in Deutschland immer noch beobachtet wird, war an der Reaktion von Parlamentspräsident Rivlin auf die Vorkommnisse im sächsischen Landtag abzulesen. Die demonstrative Missachtung gewählter deutscher Parlamentarier für das Leid der Juden muss in Israel für Bestürzung sorgen. Vielleicht hat aber Köhlers ehrliche Emotionalität auch den falschen Eindruck Rivlins korrigiert, in Deutschland schweige die große Mehrheit und kehre den Opfern den Rücken. Es gibt quer durch das demokratische Lager einen breiten Konsens, das Auftreten der Neonazis nicht als "normal" hinzunehmen. Diskutiert wird lediglich über den Weg. d.lintz@volksfreund.de

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