Ein eindeutiges Urteil

KARLSRUHE/BERLIN. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat das Luftsicherheitsgesetz gekippt. Die Richter erklärten die Befugnis für die Bundeswehr, entführte Passagierflugzeuge abzuschießen, für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Was Hans-Jürgen Papier in Karlsruhe zur Begründung vorzubringen hatte, interessierte Günther Beckstein in München nur noch am Rande. Der bayerische CSU-Innenminister schickte seine Stellungnahme am Mittwoch schon über die Fax-Geräte, als der Präsident des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts noch bei der Urteilsverkündung war. Auch alle anderen Politiker äußerten sich in Rekordzeit. Die Ablehnung des Luftsicherheitsgesetzes durch die Richter hat den Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Innern verschärft. Union (pro) und SPD (kontra) sind einer Einigung entfernter denn je. Im Koalitionsvertrag hatten beide Parteien den Punkt ausgeklammert und auf das ausstehende Urteil verwiesen. Danach wollten sie regeln, wie die Bundeswehr die Bürger in der Luft vor Terroristen schützen kann. So weit bestand Konsens. Die Union, allen voran Innenminister Wolfgang Schäuble, wollte im Zuge einer Neuregelung aber auch den Einsatz der Armee im Innern, etwa zum Objektschutz, im Grundgesetz verankern. Am besten noch vor der Fußball-WM. Allerdings half das Urteil am Mittwoch im Koalitionsstreit nicht weiter. Den Passus des Luftsicherheitsgesetzes, der es erlaubte, eine von Terroristen entführte Maschine von der Luftwaffe abschießen zu lassen, kippte das Gericht mit solcher Eindeutigkeit, dass Ex-Verteidigungsminister Peter Struck hinterher ziemlich geknickt war. "Die Politik wird allein gelassen mit der Frage, wie mit einer terroristischen Bedrohung umzugehen ist", sagte der SPD-Fraktionschef. Struck gehörte zu den Vätern der Bestimmung, an der Richter Papier kein gutes Haar ließ: Grundgesetzartikel 2, das Recht auf Leben, "der Wert des Menschen um seiner selbst Willen", werde klar verletzt. Nach den Tätern im Flugzeug mache nun auch der Staat die unschuldigen Passagiere zu Objekten und maße sich an, sie zu töten. Das sei "in vollem Umfang verfassungswidrig". Nach diesen Aussagen gab es in Berlin keinen mehr, die noch glaubte, das Luftsicherheitsgesetz nachbessern zu können, denn Artikel 2 gehört zum nicht änderbaren Kern des Grundgesetzes. Richter Papier betonte allerdings, dass Artikel 2 nicht berührt wäre, wenn nur Täter in der Maschine säßen, denn der Staat habe die Pflicht, Unschuldige zu schützen. Trotzdem sei das Luftsicherheitsgesetz auch in einem solchen Fall verfassungswidrig. Denn nach Artikel 35 des Grundgesetzes sei der Einsatz der Bundeswehr im Innern nur als Hilfestellung der Länderpolizeien bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen erlaubt. Und das auch nur mit den Waffen der Polizei. An diesem Punkt sieht die Union einen Wink mit dem Zaunpfahl zugunsten ihrer Forderung. So hatte Papier betont, unter Unglücksfällen könne auch die Vermeidung einer bevorstehenden, durch Terroristen provozierten Katastrophe gesehen werden. CDU-Fraktionschef Volker Kauder warnte vor vorschnellen Entscheidungen. Man müsse das Urteil erst sorgfältig prüfen. Auch Innen-Staatssekretär Peter Altmaier meinte, der Respekt vor dem Gericht verbiete Schnellschüsse. Nun werde man "so zügig wie möglich, aber ohne Hast" das Urteil lesen und Vorschläge vorlegen, sagte Altmaier unserer Zeitung. Grundsätzlich jedoch, so ließen alle Unionsvertreter durchblicken, wollen sie das Ziel, die Bundeswehr auch im Innern einzusetzen, nicht aufgeben.

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