Ein einsamer Wolf zieht seine Bahn

BERLIN. Energisch und unbeirrbar setzt Otto Schily seine Duftmarken. Seit Wochen steht der Bundes-Innenminister im Zentrum der Öffentlichkeit, ist Dauergast bei Presse und Rundfunk, tanzt politisch nahezu auf jeder Hochzeit - und denkt mit 72 Jahren über die Fortsetzung seiner Karriere nach der nächsten Wahl nach.

Würde man ihn in ein Gewand stecken, er sähe mit seiner Pagenfrisur aus wie ein altrömischer Senator. Otto Schily, äußerlich stets edel gekleideter Bundesminister des Innern, erregt nicht nur optisch Aufmerksamkeit. Der Senior im Kabinett des Bundeskanzlers Gerhard Schröder gilt auch sonst als Sonderling, zumal er sich aufgrund seiner völligen Unabhängigkeit ziemlich viel herausnehmen kann. Gegenwärtig erzählt er den Gewerkschaftern bei den Tarifverhandlungen in Potsdam, warum sie sich mit einem bescheidenem Abschluss zufrieden geben müssen. Sie werden es am Ende akzeptieren."Musikschulen schließen schadet der Sicherheit"

So liebt es Schily, der lange Verkannte. 66 Jahre musste er warten, bis er dort war, wo er hin wollte: ganz oben. In einem Alter, in dem Normalbürger aufs Altenteil befördert werden, stieg er in den politischen Olymp auf und wurde Minister. Nachfolger des "schwarzen Sheriffs" Manfred Kanther. Ausgerechnet Schily, der frühere Terroristenanwalt und gnadenlose Kritiker der Staatsgewalt. Für Schily selbst war seine Karriere eher eine Selbstverständlichkeit. Er hielt sich schon immer für besser als andere, vermutlich für den Besten überhaupt. An Selbstbewusstsein und Arroganz hat es dem Ex-Grünen und Neu-Roten jedenfalls nie gemangelt. Natürlich ist die Herkunft schuld, die Sozialisation. Der am 20. Juli 1932 geborene Sohn eines Bochumer Hüttendirektors und einer Geigerin wuchs in großbürgerlichem Milieu auf. Man trug feinen Zwirn, ergötzte sich an Hausmusik und fühlte sich der Intelligenz zugehörig. So etwas prägt. Deshalb stammen von dem Politiker Schily auch Sätze wie: "Wer Musikschulen schließt, schadet der Inneren Sicherheit." Deshalb hat es Schily bei den grünen Latzhosenträgern derersten Stunde auch nur so lange ausgehalten, wie es unbedingt notwendig war. Zu den SPD-Genossen passte er kulturell zwar auch nicht richtig, aber inhaltlich kam er halt mit der FDP nicht klar. Deshalb hörte Schily auf den Einflüsterer Peter Glotz, der ihn einst zu den Sozialdemokraten lockte. Auch hier ein Kulturschock: in Bayern. Was die Südländer von dem elitären Asylanten hielten, zeigten sie ihm bei der Listen-Aufstellung zur Bundestagswahl 1998. Platz 29, mehr mochte man dem Fremden nicht gönnen. Es reichte gerade eben für den Bundestag, aber Schily wäre auch so Minister geworden, darauf hatten sich Schröder und Parteichef Oskar Lafontaine bereits geeinigt. Man brauchte auf der weichen Flanke der "rot-grünen Reformkoalition" einen harten Hund, um der Union die Kompetenz für das Reizthema Innere Sicherheit abspenstig machen zu können. Der Jurist Schily - bärbeißig, fachlich versiert, unkonventionell - galt als geeigneter Kandidat. Schröder war später geradezu begeistert von dem Alten, den er zu seinem Lieblingsminister erkor. Auch deshalb überredete er den Zaudernden vor der Wahl 2002, sich das mit der Rente doch bitte noch mal zu überlegen und abermals anzutreten, wenigstens für zwei Jahre.Schily glaubt, eine Mission erfüllen zu müssen

Schily, geschmeichelt und geehrt, sagte nach ein paar Gläsern edlen Weines zu - und will jetzt überhaupt nicht mehr aufhören. Nach Angaben aus seiner Umgebung ist er fest entschlossen, 2006 erneut zu kandidieren. Derzeit wirkt der Minister, als sei er einem Jungbrunnen entstiegen. Er ist gefragt wie nie zuvor, mischt überall mit: Als Sportminister kümmert er sich hingebungsvoll um die Fußball-WM 2006, bei der er Deutschland "als Freund der Welt" präsentieren will. Als Innenminister sorgt er für Sicherheit im Lande, lässt sich im Kampf gegen terroristische Umtriebe von niemandem übertreffen. Beim Luftsicherheitsgesetz, vom "verehrten Herrn Bundespräsidenten" als verfassungsproblematisch eingestuft, scheute er auch nicht vor Kritik am Staatsoberhaupt zurück ("Köhlers Auffassung ist falsch"). Ob biometrische Pässe, Flüchtlingslager in Afrika, Beamtenrecht, NPD-Verbot, genetischer Fingerabdruck DNA, Umzug des BKA nach Berlin: Schily schreckt vor nichts zurück, erst recht nicht vor den Grünen, die seinen Eifer manchmal (und meist vergebens) stoppen wollen. Er glaubt, eine Mission erfüllen zu müssen. Deutschland, so haben Schröder und Schily erkannt, ist ein Reparaturbetrieb. Das ehemalige Land der Dichter und Denker soll wieder werden, wie sie sich das vorstellen: eine Kulturnation mit innovativem Charakter. Daran will er mitarbeiten, für dieses hehre Ziel lässt er sogar sein stattliches Castell in der Toskana oft herrenlos. Der "einsame Wolf" (ein Freund), der sich um Parteipolitik nicht schert, zieht also weiter seine Bahn. Kritik prallt an ihm ab, und wie er gestern dachte, interessiert ihn heute nicht mehr: "Nur Idioten ändern sich nicht."

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