Ein "enges Korsett" ersetzt die Gefängniszelle

Ein immer noch als gefährlich eingestufter ehemaliger Gewaltverbrecher ist seit gestern auf freiem Fuß. Das Trierer Landgericht lehnte die sogenannte nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den 34-jährigen Eifeler ab. Der Mann soll aber künftig rund um die Uhr überwacht werden.

 Rechtsanwalt Edgar Haubrich und sein Mandant beim Prozessauftakt Anfang Februar. Seit gestern Mittag ist der 34-Jährige die Handschellen los. Er verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Foto: TV-Archiv/Rolf Seydewitz

Rechtsanwalt Edgar Haubrich und sein Mandant beim Prozessauftakt Anfang Februar. Seit gestern Mittag ist der 34-Jährige die Handschellen los. Er verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Foto: TV-Archiv/Rolf Seydewitz

Trier. Dem Trierer Oberstaatsanwalt Ingo Hromada schwante schon zum Prozessauftakt vor knapp zwei Monaten nichts Gutes: "Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist ein stumpfes Schwert", sagte Hromada unserer Zeitung seinerzeit unter Verweis auf die hohen gesetzlichen Hürden. Am Dienstagmittag wurde aus Hromadas Vorahnung bittere Realität: Für einen ehemaligen Gewaltverbrecher, der im Juli 1997 in der Eifel eine Prostituierte erwürgt hatte, öffneten sich nach zwölfeinhalb Jahren die Gefängnis-türen.

Der Fall sorgt deshalb für besonderes Aufsehen, weil Gutachter den 34-Jährigen immer noch als "hochgefährlich" einstufen. Das war auch der Grund, warum die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den ehemaligen Gewaltverbrecher beantragt hatte.

Allerdings: Bei einem solchen Antrag liegen die gesetzlichen Hürden besonders hoch. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung darf nur angeordnet werden, wenn während der Haftzeit "neue Tatsachen" bekannt geworden sind. So paradox es für Nicht-Juristen klingen mag: Allein der Umstand, dass ein verurteilter Verbrecher weiter als gefährlich eingestuft wird, reicht für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht aus.

Was aber sind "neue Tatsachen"? Dies zu beurteilen, fällt auch deutschen Gerichten schwer. Wie schwer, zeigt ein Blick in die Statistik. In den vergangenen drei Jahren seien fast alle von deutschen Gerichten im Nachhinein verhängten Sicherungsverwahrungen später vom Bundesgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben worden, sagte gestern die Vorsitzende Richterin Petra Schmitz. Es klang fast wie eine Entschuldigung nach dem Motto: Wir würden ja gern, aber uns sind die Hände gebunden. Schmitz formulierte es diplomatischer; sie sprach von einem "misslichen Umstand" und davon, dass nun der Gesetzgeber gefordert sei.

Oberstaatsanwalt Ingo Hromada hatte zuvor in seinem Plädoyer etwas gemacht, was Staatsanwälte selten tun: Er forderte das Gericht auf, den von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung zurückzuweisen. Zugespitzt formuliert: Hromada hatte erkannt, dass man mit einem stumpfen Schwert zwar in die Schlacht ziehen kann, aber rechtzeitig umkehren sollte.

"Ein mulmiges Gefühl bleibt", meinte auch Hromada in der dreiviertelstündigen Pause vor der Urteilsverkündung. Dabei ist "das Korsett" (Vorsitzende Richterin Petra Schmitz), das alle an dem Verfahren Beteiligten für den 34-Jährigen geschnürt haben, denkbar eng: Der zuletzt in Wittlich inhaftierte Eifeler ist zwar seit gestern wieder auf freiem Fuß. Der an einer Persönlichkeitsstörung leidende Mann wird allerdings in einer außerhalb der Region Trier gelegenen Einrichtung für psychisch kranke Menschen untergebracht. "Er bekommt einen speziellen Betreuer, der ihm Auflagen machen und Weisungen erteilen kann", sagte Hromada. Wenn der Eifeler sich daran nicht halte, lande er wieder vor dem Kadi.

Genau dies wolle er auf jeden Fall vermeiden, versprach der 34-Jährige in seinem Schlußwort: "Ich will frei sein, aber Menschen um mich haben, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen."

Meinung

Nicht die Schuld der Justiz

Die Trier-er Justiz hätte es sich gestern leicht machen können. Sie hätte die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen den ehemaligen Gewaltverbrecher fordern beziehungsweise anordnen können - und die Sache wäre für sie zumindest vorerst vom Tisch gewesen. Womöglich noch wichtiger: Die Öffentlichkeit hätte Gericht und Staatsanwaltschaft applaudiert, weil ein als gefährlich eingestufter ehemaliger Gewaltverbrecher auch nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe weiter hinter Gittern geblieben wäre. Klar ist aber auch: In einem solchen Fall hätte das Gericht den Schwarzen Peter nur weitergeschoben, der Bundesgerichtshof das Trierer Urteil später wieder gekippt. Denn die derzeitige Gesetzeslage lässt die nachträgliche Sicherungsverwahrung kaum zu. Dies mag man bedauern. Aber statt sich in öffentlichkeitsträchtigen Reden darüber aufzuregen, sollten Politiker Mehrheiten suchen und das Gesetz ändern. Die Justiz jedenfalls ist an dieser Misere unschuldig. r.seydewitz@volksfreund.de

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