Ein Hauch von Obama: "Yes, we Cem"

Die Grünen haben Geschichte geschrieben und mit Cem Özdemir den ersten türkischstämmigen Parteichef in Deutschland bestellt. Der 42-Jährige hat in Erfurt ein für Grüne-Verhältnisse ordentliches Ergebnis von 79,2 Prozent eingefahren, deutlich mehr als sein Vorgänger Reinhard Bütikofer vor zwei Jahren.

Berlin. Die Flügel haben gut funktioniert. Als Cem Özdemir mit einer der gefürchteten Umarmungen von Claudia Roth bedacht wird, schwillt der Applaus an. Die Grünen beklatschen ihr Führungsduo. Die eine mischt nach der dritten Wahl in Folge oben mit, der andere zum ersten Mal. Und das alles mit einem für grüne Verhältnisse geradezu überwältigenden Votum. Noch vor zwei Jahren kam Roth auf 66,5 Prozent der Stimmen. Diesmal sind es fast 17 Prozent mehr. Özdemir liegt knapp darunter. Wählst du meine Linke, wähle ich deinen Realo. So hatten es beide Parteiströmungen vorher ausgekungelt und beide hielten sich an die Abmachung.

Bei der Wahl der beiden Spitzenkandidaten für die nächste Bundestagswahl geht die Parteitagsregie auf Nummer sicher. Künast und ihr Fraktionsstellvertreter, Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, treten in einer gemeinsamen Abstimmung an. Mit 92 Prozent ist das Ergebnis traumhaft.

Durch den Trick mit dem Doppelpack bleibt allerdings verborgen, wer jeweils wie viel Unterstützung gehabt hätte. Dabei ist gerade das Spitzenergebnis für Özdemir nicht unbedingt ein Selbstläufer. Zwischenzeitlich wurde sogar befürchtet, dass der "anatolische Schwabe" (Özdemir über Özdemir) seine Führungsambitionen beerdigt. Bei der Kandidatenaufstellung für den Bundestag hatte ihm sein baden-württembergischer Landesverband einen aussichtsreichen Listenplatz verweigert. So fuhr Özdemir mit einem großen Makel nach Erfurt.

Vortrag des 42-Jährigen trifft die Stimmung



Bei seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag kann der 42-Jährige seine Nervosität auch kaum verbergen. Aber grüne Logik geht eben anders: Gerade weil Özdemir in seiner Heimat durchrasselte, soll er nun wie Phönix aus der Asche steigen. Sein Vortrag trifft die Stimmung der Delegierten. "So manches Mal haben wir uns mehr mit uns selbst beschäftigt als mit dem politischen Gegner", sagt Özdemir. Das zielt auf die Eitelkeiten und Machtkämpfe in den grünen Führungsetagen. "Den Kompromiss nimmt man nicht vorweg in der Opposition", donnert er in den Saal. Das liegt auf der Linie seines scheidenden Vorgängers Reinhard Bütikofer, der dazu aufrief, sich nicht als Anhängsel einer anderen Partei zu verstehen. Die Seitenhiebe gelten der Bundestagsfraktion, die für den Geschmack der meisten Grünen politisch zu brav ist. Der Vorzeige-Realo Fritz Kuhn bekommt dies schmerzlich zu spüren. Bei der Wahl zum Parteirat, einem zentralen Beratungsgremium der Führung, wird der Co-Fraktionsvorsitzende rausgekegelt. Viele Realos haben Rache geübt, weil sich Kuhn nicht für die Bundestagskandidatur seines Landsmanns Özdemir verwendet hatte. Weiter plant die Partei, die beiden Spitzenkandidaten sowie die Führungsleute von Partei und Fraktion in einem "Spitzenteam" zu versammeln, dem auch Kuhn angehören soll. Mit dieser Struktur wird allerdings klar, wie hart die Konkurrenz für Özdemir ist. Während Leute wie Künast und Trittin vom Sachverstand der Koalition profitieren können, hat Özdemir nur wenige Zuarbeiter. Zunächst aber ist Özdemir der grüne Star. Durch seine türkische Herkunft erhoffen sich viele eine Erschließung neuer Wählerschichten. Wie zum Beweis trägt eine junge Türkin mit Kopftuch einen Anstecker mit dem abgewandelten Obama-Spruch "Yes, wie Cem". Ein Hauch von US-Wahlkampf liegt in der Luft.

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