Ein Hauch von Wahlkampf vor der Euro-Abstimmung

Berlin · Mit Staunen ist gestern im Bundestag registriert worden, dass vor der Abstimmung über den erweiterten Euro-Rettungsschirm Per Steinbrück für die SPD redet - und nicht Parteichef Sigmar Gabriel oder Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Steinbrück wirkt wie der Sieger im Rennen um die Kanzlerkandidatur der Partei.

Berlin. Per Steinbrück begleitet vom ersten Moment seines Auftrittes an Unruhe in den Reihen der schwarz-gelben Koalition. Der Sozialdemokrat und frühere Finanzminister der Großen Koalition redet schnell und etwas verhuscht. Aber stets mit der Attitüde des Machers, der diese Krise anders und entschlossener angepackt hätte. Und dann kommen seine Angriffe fast wie aus dem Nichts.
Die Regierung habe den Menschen nicht die Wahrheit gesagt. Nicht, dass Deutschland über die EZB-Käufe schon mit drinhänge in einer europäischen Haftungsgemeinschaft: und auch nicht, dass man an einem Schuldenschnitt für Griechenland nicht vorbeikommen werde. Viel zu spät und zu zögerlich habe man reagiert und die Finanzmärkte noch immer nicht an die Leine gelegt. Die Euro-Krise kratze an den fundamentalen Werten der Menschen, etwa dass Banken für ihr Risiko auch haften müssten. Die Leute hätten Angst. "Ihnen", ruft Steinbrück Bundeskanzlerin Merkel (CDU) zu, "fehlt die wichtigste politische Qualität in Zeiten der Gefahr - Vertrauen".
Merkel schüttelt den Kopf.
Dann holt Rainer Brüderle zum Gegenschlag aus. Erst einmal nutzt der Fraktionschef der Liberalen den Umstand, dass SPD und Grüne am Vortag im Europaparlament der Verschärfung des Euro-Stabilitätspaktes nicht zugestimmt haben. "In den Worten hart, in den Taten weich", ruft Brüderle unter Gejohle seiner Leute aus. Dann nimmt er sich Steinbrück persönlich vor.
Brüderles Florett-Finger


Sein rechter Zeigefinger sticht dabei wie ein Florett nach vorn: Das sei hier ja wohl das Schaulaufen für die Kanzlerkandidatur gewesen, sagt der Liberale. "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der schönste Sozi im ganzen Land". Aber damals, bei der Lehmann-Pleite, habe Steinbrück zunächst gezaudert, "so doll war das auch nicht". In den Koalitionsreihen kommt allmählich Stimmung auf. "Besserwisser, sind nicht immer Bessermacher". Als der FDP-Mann sich setzt, bejubelt von den Seinen, haucht Angela Merkel ihm von ihrem Platz ein "Danke schön" zu.
Gregor Gysi (Linke) gelingt anschließend noch der Konter, dass Brüderle sich ja wohl schon auf Neuwahlen einstelle, wenn er hier solche Reden halte. Dann hat die Debatte ihre Höhepunkte hinter sich. Es gibt noch ein kleines Fachgeplänkel über die Frage, ob hinter dem neuen 750 Milliarden Euro umfassenden Gewährleistungsrahmen, von dem Deutschland 211 Milliarden trägt, nicht über sogenannte versteckte Hebelwirkungen weit höhere Kredite stehen. Dann wird endlich abgestimmt.
Für das Gesetz ist sowieso eine satte Mehrheit von 523 der 611 Abgeordneten, weil SPD und Grüne es ebenfalls unterstützen. Sogar geschlossener als die Koalitionsparteien selbst. Aber die Kanzlermehrheit steht mit 315 Ja-Stimmen trotzdem noch; es gibt "nur" 15 Abweichler bei CDU, CDU und FDP und nicht die befürchteten 20 oder mehr. Gestützt von der Zustimmung des Bundestages zur Erweiterung des Euro-Rettungsschirms haben deutsche Standardwerte am Donnerstag weiter zugelegt. Der Leitindex Dax kletterte bis auf 5704 Punkte und damit auf den höchsten Stand seit Anfang September. Er behauptete zum Schluss noch ein Plus von 1,10 Prozent auf 5639,58 Punkte. dpa

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