Ein Hoffnungsträger wird geboren

Tausende von Anhängern feiern Barack Obama, den demokratische Präsidentschaftsbewerber, wie einen Rockstar. Unerwartet klar nimmt der farbige Politiker die erste Hürde bei den Vorwahlen in Iowa.

Washington/Des Moines. Es sind vier Worte, die die Menschen im bis auf den letzten Platz gefüllten Kongresszentrum von Des Moines (Iowa) zu einem Jubelsturm animieren. "Die Zeit ist gekommen", sagt der schwarze Barack Obama. Und hinter, neben und vor ihm schreien sich vor allem Weiße die Begeisterung aus dem Leib. Sie feiern, was Demoskopen und selbst enge Mitarbeiter des 46-Jährigen nicht erwartet hatten: Einen unerwartet klaren Sieg bei der ersten Hürde, die Amerikas Präsidentschaftsbewerber bei den Vorwahlen nehmen mussten. 38 Prozent hat Barack Obama von 200 000 abstimmenden Demokraten erhalten, acht Prozent mehr als die landesweit in Umfragen als große Favoritin gehandelte Hillary Clinton, für die sogar nur der dritte Platz hinter dem Parteirivalen John Edwards bleibt. Damit ist eine erste Antwort auf die bange Frage gegeben, die alle Obama-Fans bewegt: Ist die Zeit reif für einen Schwarzen im Weißen Haus? "Obama berührt die Menschen emotional, Hillary offenbar nicht," analysiert wenig später der frühere Präsidentenberater David Gergen das Erfolgszept des Jungstars aus Chicago, dessen Name vor drei Jahren nur Insidern ein Begriff war. "Iowa ist der weißeste Platz nach dem Nordpol," konstatiert CNN-Politikexperte Jack Cafferty mit Blick auf die Tatsache, dass 93 Prozent der Bevölkerung Weiße sind, und spricht angesichts des Siegs des Anwalts von einem "Paukenschlag". Und die TV-Diskussionsrunden widmen sich bald vor allem der Frage: Wie weit kann dieser Kantersieg den Außenseiter tragen, der im Siegestaumel von einem "definierenden Moment der Geschichte" spricht? Eine Frage, die auch für den Republikaner Mike Huckabee gilt. Auch er, vor Monaten noch belächelt und mit einer nur aus wenigen Büros bestehenden Organisationsstruktur als chancenlos eingestuft, wird am Donnerstagabend von seinen Anhängern umjubelt. Auch ihm flogen, wie Obama, die Herzen der Menschen in diesem typischen Agrarstaat entgegen - und Huckabee glaubt zu wissen, warum: Weil die Wähler erkannt hätten, dass man mit Geld allein nicht Hoffnungen kaufen könne. Ein deutlicher Seitenhieb auf den Millionär und Mormonen Mitt Romney, der fünfzehn Mal mehr als Huckabee in Iowa ausgab - und am Ende doch neun Punkte zurückliegt.Kometenhafter Absturz von Hillary Clinton

Huckabee? Mit so einem Namen könne man nicht Präsident werden, hatten ihn zuvor noch Spötter belächelt. Doch der Baptistenprediger, dessen Basis zum Sieg an diesem Tag die konservativen Evangelisten der Bush-Partei bildeten, hält wie Barack Obama nun auch eigentlich Unmögliches für möglich: "Sie wird eine wunderschöne First Lady abgeben," sagt er und deutet bei der Siegesrede auf seine Frau. Doch für die 2500 aus aller Welt angereisten Berichterstatter ist das eigentliche Thema des Abends der Aufstieg von Barack Obama und der kometenhafte Absturz von Hillary Clinton. Die gibt sich bei ihrem Auftritt zwar betont optimistisch, doch ihr Lächeln wirkt in der gut geheizten Halle wie gefroren. Sie versucht, Ehemann Bill an der Seite, aus der Niederlage Honig zu saugen: Die hohe Wahlbeteiligung sei für die Demokraten doch eine gute Sache, "weil es zeigt, dass wir nun den nächsten Präsidenten stellen werden". Doch wird sie es sein? Fast störrisch betont Clinton immer wieder: "Ich bin bereit", doch muss ihre auf 100 Millionen Dollar Wahlkampf-Spenden sitzende Kampagne nun mit ernsthaften Zweifeln leben - zumal Obama ein ähnlicher Betrag zur Verfügung steht. Schon am Dienstag stellen sich die Bewerber beider Parteien dem Votum in New Hampshire, und dort werden alle Beobachter darauf starren, ob der früheren First Lady ein Comeback wie einst Ehemann Bill gelingt. Der gewann 1992 in New Hampshire, nachdem er zuvor in Iowa mit nur knapp drei Prozent der Stimmen einen klassischen Fehlstart hingelegt und gleichzeitig die Unberechenbarkeit der Wähler in diesem Mikrokosmos bestätigt hatte. Zwar wurde Hillary Clinton bei ihrer Dankesrede wieder von zahlreichen Frauen beklatscht, die Schilder mit der Aufschrift "Women for Hillary" schwenkten. Doch erste Analysen zeigen, was der landesweit in Umfragen führenden Kandidatin kalte Schauer bescheren muss: Am Abend der Außenseiter-Triumphe in Iowa haben eine unverhältnismäßig große Zahl von Frauen - 35 Prozent - für Barack Obama gestimmt, für das Clinton-Camp blieben nur 31 Prozent, und vor allem bei jungen Wählern hat Obama eine enorm starke Basis. Die Vision einer harmonischen Gesellschaft

Das dürfte zum einen an seinem nicht aufgesetzt wirkenden Charisma liegen, aber auch an seinem Wahl-Programm, das klare wie gelegentlich provozierende Konturen aufweist: Barack Obama, der erst seit drei Jahren im US-Senat sitzt und noch nie in Europa war, setzt auf Gespräche, nicht auf Konfrontation - und das gilt, wie er offenbarte, auch für den Iran und andere Diktaturen. Die Truppen aus dem Irak sollen zudem schnell nach Hause kommen. Doch sein größtes Guthaben scheint zu sein, dass er nach acht Jahren Bush immer wieder die Vision einer harmonischen Gesellschaft beschwört und die trennenden Gräben von Hautfarbe und bitterer Parteipolitik überspringen will. "Zusammen können gewöhnliche Menschen Ungewöhnliches leisten", lautet die Kernphilosophie seiner Siegesrede. Und: "Wir sind nicht blaue und rote Staaten, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika." Das klingt nicht nur staatsmännisch, sondern auch ein bisschen nach Martin Luther King und nach John F. Kennedy. Und tausende von Anhängern feiern ihn wie einen Rockstar. Es ist, an einem eiskalten Tag in Iowa, die amtlich gewordene Geburt eines die Herzen wärmenden Hoffnungsträgers. Meinung Eine politische Revolution? Hat Amerika am Donnerstagabend die erste Episode einer politischen Revolution gesehen - eine Entwicklung, an deren Ende der erste Schwarze im Weißen Haus stehen könnte? Zwar gilt der nur drei Millionen Seelen zählende Bundesstaat Iowa, wo der Demokrat Barack Obama überraschend deutlich seine Mitbewerber Hillary Clinton und John Edwards in die Schranken verwies, traditionell als unzuverlässiger Gradmesser für den weiteren Verlauf der Vorwahlen. Doch aus gleich mehreren Fakten kann der farbige Hoffnungsträger, der bei seinen Auftritten wie ein Rock-Superstar gefeiert wird und dem viele Experten nach der Kandidatur-Erklärung aufgrund seiner Jugend und Unerfahrenheit keine wirkliche Chance auf die Präsidentschaft gaben, nun etwas mehr Zuversicht schöpfen. Zum einen hat er in einem Bundesstaat gewonnen, dessen Weißenanteil 93 Prozent ausmacht - ein Indiz dafür, dass Obamas Faszination Rassengrenzen überwinden kann. Dann haben sich vor allem Jungwähler für ihn entschieden, die anscheinend einen echten Wechsel wollen - und kein Zurück zur Clinton-Ära. Diese Gesellschaftsschicht ist gewöhnlich gut motiviert, wenn es auf Wahlbeteiligung ankommt. Und nun, nach dem erfolgreichen Start, könnten sich auch jene Farbigen, die bei vergangenen Wahlen das Rückgrat des Clinton-Clans bildeten, neu orientieren - in Richtung eines unverbrauchten Gesichtes, der bei seinen charismatischen Auftritten Assoziationen zu Martin Luther King und John F. Kennedy weckt. Die Begeisterung, die Barack Obama in Iowa hervorrief, ist gleichzeitig eine Hiobsbotschaft für die seit acht Jahren an den Machthebeln sitzenden Republikaner. Zwar haben sie mit dem Ex-Gouverneur und Baptistenprediger Mike Huckabee ebenfalls einen Außenseiter als bürgernahen "Shootingstar" in ihren Reihen. Doch dessen klarer Erfolg in Iowa war nur möglich, weil die anderen Kandidaten der Bush-Partei einen eher schwachen, kraftlosen oder - wie Mitt Romney - allzu aalglatten Eindruck hinterließen. Nicht gerade hilfreich dabei ist, dass mittlerweile 70 Prozent der US-Bürger denken, Bush habe das Land in eine falsche Richtung geführt. Doch allzu scharfe Kritik am Präsidenten und dem unpopulären Irak-Krieg können sich die Republikaner-Kandidaten nicht leisten, weil sie sich sonst von manchen den Vorwurf der Illoyalität gefallen lassen müssten. So fehlt ihnen jenes Profil der Schärfe, das beispielsweise Barack Obama oder den Demokraten John Edwards auszeichnet. Was ihre Platzierungen ganz oben auf dem Podest in Iowa wirklich wert sind, werden Obama und Edwards bereits am kommenden Dienstag in New Hampshire bei der nächsten Vorwahlrunde ablesen können. Dort geht es auch für die einst große Favoritin Hillary Clinton, deren Wahlprogramm bisher seltsam verschwommen blieb, fast schon ums Ganze. Denn landet der neue Star der Partei wieder auf Platz eins, dürfte die Begeisterungswelle für den durch Affären und Washingtoner "Klüngel" unbelasteten Barack Obama bei den Demokraten unvermindert weiterrollen. nachrichten.red@volksfreund.de

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