Ein kleiner Pieks mit großer Wirkung

TRIER. Sollen wir oder sollen wir nicht? Viele Eltern stehen vor der Frage, ihre Kinder impfen zu lassen oder nicht. Sie müssen abwägen zwischen den Risiken einer womöglichen Ansteckung mit einer Kinderkrankheit und den Gefahren durch die Impfung.

Es ist schon paradox: Eigentlich sind diejenigen Ärzte schuld, die Eltern raten, ihr Kind unbedingt impfen zu lassen. Wegen der mittlerweile eigentlich ganz guten Impfrate von 80 bis 90 Prozent treten Kinderkrankheiten wie Masern oder Windpocken noch selten auf. Das hat allerdings den Nebeneffekt, dass viele Eltern nicht so recht wissen, wogegen sie ihre Kinder eigentlich schützen lassen sollen. "Impfungen laufen Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden", meint daher auch der Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Marc Danzon. 90 Prozent beträgt im Schnitt die Durchimpfungsrate in der EU. Trotzdem sind nach einem Bericht der WHO über 500 000 Kleinkinder nicht genügend gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten geschützt. In Belgien, Großbritannien, Italien und Österreich liegt demnach die Impfrate gegen Masern bei 85 Prozent. Die WHO strebt eine Rate von 95 Prozent an. Studien finanziert von Impfstoff-Hersteller

Was geimpft werden soll, das empfiehlt in Deutschland die Ständige Impfkommission (Stiko) - ein 16-köpfiges, von der Bundesgesundheitsministerin berufenes Gremium. Seit Jahren empfehlen diese Experten, allesamt Kinderheilkundler, die zweimalige Impfung gegen die klassischen Kinderkrankheiten: Masern, Mumps, Röteln. Meist verabreicht in Kombi-Impfungen. Hinzu kommen noch Impfungen unter anderem gegen Diphtherie, Polio, Tetanus und Keuchhusten. Seit einiger Zeit wird auch die Impfung gegen Windpocken empfohlen. Waren zunächst einige Kinderärzte skeptisch über den Sinn dieser zusätzlichen Impfung, haben von der Stiko vorgelegte Studien Skeptiker überzeugt. Allerdings, so werfen Kritiker der Kommission vor, seien die Studien vom Hersteller des Windpocken-Impfstoffs finanziert worden, was die Stiko auch nicht bestreitet. Doch damit geriet die bis dato wenig beachtete Arbeit der Impf-Experten in den Focus und wird seitdem vor allem von Impfgegnern noch kritischer beäugt. Kürzlich hat die Kommission den Katalog ihrer Impf-Empfehlungen erneut erweitert: Fünf- bis Sechsjährige sollten eine Auffrischung gegen den Keuchhusten erhalten. Begründung, wie auch bereits bei der Empfehlung zur Windpocken-Impfung: Die Zahl der Erkrankungen habe zugenommen und sie sei keineswegs eine banale Kinderkrankheit. Die nächste Empfehlung steht wahrscheinlich unmittelbar bevor. Die europäische Arzneimittelbehörde hat einen Impfstoff gegen Rotaviren, die Magen-Darm-Erkrankungen verursachen, zugelassen. Die Impfkritiker hingegen argumentieren, dass die tatsächliche Wirkung von Impfungen nicht erwiesen sei. Sie unterdrückten die natürliche Abwehrreaktion der Kinder, verhinderten, dass das Immunsystem durch die Krankheiten gestärkt werde. Jede durchgemachte Krankheit stärke die Kinder, sagt der Trierer Kinderarzt Johannes Storto. Er empfiehlt, Kinder erst kurz vor der Pubertät zu impfen, falls sie dann noch keine Masern, Mumps oder Röteln gehabt haben. Die von der Weltgesundheitsorganisation und der Impfkommission genannten Komplikationen etwa bei Masern hält er für völlig übertrieben. Die Entscheidung zur Impfung müsse von den Eltern kommen und dürfe nicht von den Ärzten vorgegeben werden. Komplikationen sind möglich

Doch nicht nur Anhänger alternativer Medizin sind impfkritisch. Auch Angehörige von Impfgeschädigten. Sie wehren sich gegen die allzu sorglose Empfehlung zur Impfung. Der Schutzverband der Impfgeschädigten glaubt, dass Impfrisiken bewusst heruntergespielt und verharmlost würden "aus rein kommerziellen Gründen". Auf der Internet-Seite des Verbandes werden Fälle aufgelistet, die angeblich auf Impfschäden zurückzuführen sind. So ist dort die Rede von Todesfällen im Zusammenhang mit der Impfung gegen Kinderkrankheiten. Das für die Zulassung der Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut hält einen solchen Zusammenhang jedoch für nicht erwiesen. Dass es durch Impfungen zu Komplikationen kommen kann, streiten Impfbefürworter gar nicht ab. Kinder könnten tatsächlichen einen Schock bekommen, Lähmungserscheinungen könnten auftreten oder sie könnten eine Gehirnentzündung davontragen. Doch das Risiko eines Impfschadens sei weitaus geringer als die Gefahren einer Viruserkrankung. Eines unter einer Million Kindern erleide eine kurzzeitige Lähmung nach einer Masern-Impfung, demgegenüber stünden weltweit eine Million Masern-Tote jährlich. Doch die Ärzte konzentrieren sich eher auf die verunsicherten Eltern: "Ideologisch Verblendete können wir sowieso nicht überzeugen", sagt die Landesvorsitzende der Kinderärzte, Ingrid Mayer.

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