Ein Mord und tausend Fragen

Dallas/Washington · Was heute vor einem halben Jahrhundert in Dallas im US-Bundesstaat Texas geschah, schockierte die amerikanische Nation und viele Menschen in aller Welt: Der beliebte Präsident John F. Kennedy starb bei einem Attentat.

Dallas/Washington. 26 Sekunden lang ist der Amateurfilm des Textilfabrikanten Abraham Zapruder aus Dallas. Der gelegentlich unscharfe Schmalfilm-Streifen besteht aus 486 Negativen. Das Negativ mit der Nummer 313 wurde der Öffentlichkeit zwölf Jahre lang vorenthalten - wegen seiner Schockwirkung und aus Respekt vor der Familie Kennedy. Es ist eine Momentaufnahme des Grauens, die auch ein Horrorfilm heute kaum besser nachstellen könnte: Der Kopf des US-Präsidenten explodiert in einer Blutfontäne und wird nach vorn geschleudert, als eine der Gewehrkugeln des Attentäters Lee Harvey Oswald sein Ziel trifft.
Die dann folgenden Sequenzen zeigen Bilder, die sich tief in die Erinnerung vieler Menschen an den schicksalhaften 22. November 1963 eingegraben haben: Ein Leibwächter springt auf das Heck der Präsidentenlimousine. Die First Lady Jackie Kennedy kriecht ihm in ihrem rosafarbenen Kostüm über den Kofferraum entgegen. Verstörte Menschen am Straßenrand, deren Jubel im Keim erstickt wird. Und ein Fahrer, der mit dem sterbenden Staatsoberhaupt auf dem Rücksitz in Richtung des Parkland-Hospitals beschleunigt.
"Der Präsident ist tot", verkünden wenig später Radio- und Fernsehsender in Eilmeldungen der schockierten Nation. Die Ermordung von John F. Kennedy zählt zu einem jener wenigen historischen Ereignisse, die nicht nur Amerika bis tief ins Mark erschütterten.
Auch heute, ein halbes Jahrhundert später, weckt der Mord weiter starke Emotionen und sorgt für heftige Kontroversen. Rund 2000 Bücher und zwei offizielle Untersuchungskomissionen haben sich vor allem mit diesen Kernfragen befasst: Handelte Oswald, der desillusionierte und einen Tag nach der Tat vom Nachtklub-Besitzer Jack Ruby erschossene Kommunist, allein oder im Auftrag?Zweiter Schütze?


Gab es einen zweiten Schützen, der Kennedy ebenfalls ins Viser nahm? Und: Wie viele Schüsse wurden überhaupt abgefeuert?
Umfragen wie die des Senders ABC ergaben: 70 Prozent der Bürger glauben, der frühe Tod des charismatischen Präsidenten sei das Resultat einer Verschwörung. 1964, ein Jahr nach dem Mord, kam die von der Regierung eingesetzte Warren-Kommision zu dem Schluss: Oswald habe allein und ohne Mithilfe oder Auftrag anderer gehandelt. Doch diesem Fazit widersprach 1978 eine Untersuchungsgruppe des US-Repräsentantenhauses: Es habe mit großer Sicherheit einen zweiten Schützen gegeben - wie Oswald Teil eines Komplotts. Wer hinter der Verschwörung stecken könnte, dazu äußerten sich die Volksvertreter nicht. Diese Aufgabe übernahmen dann Buchautoren, die sich intensiv den unterschiedlichsten Mutmaßungen widmeten.
Eine der populärsten Vermutungen: Es war die Mafia. Dafür werden immer wieder zwei Argumente angeführt: Die Mafiosi seien über die harte Hand des (später ebenfalls ermordeten) Justizministers und Präsidentenbruders Robert Kennedy empört gewesen. Man habe gehofft, er werde durch den Tod von "JFK" an Einfluss verlieren. Hinzu gekommen sei Verärgerung darüber, dass John F. Kennedy beim Versuch eines Umsturzes auf Kuba erfolglos gewesen sei und die kriminellen Organisationen deshalb nicht den großen Einfluss, den sie dort vor der Ära Fidel Castro hatten, zurückgewinnen konnten. Und: Jack Ruby, der Oswald im Polizeipräsidium von Dallas mundtot machte, hatte gute Mafia-Verbindungen.
Verdacht gegen Fidel Castro


Auch Fidel Castro wurde verdächtigt. In seinem Buch "Castros Secrets" schildert der langjährige CIA-Angestellte Brian Latell, Kubas Präsident habe von den Attentatsplänen Oswalds erfahren und diesen dann dafür trainieren lassen - als Vergeltung für die Schweinebucht-Invasion.
Oder hatte die CIA beim Kennedy-Mord die Hand im Spiel? Eine der Theorien lautet, die "Schlapphüte" könnten die Mafia mit dem Schlag beauftragt haben, weil sie eine Beschränkung ihrer oft schmutzigen Arbeitsweise befürchteten. Oder sie seien von Vizepräsident Lyndon B. Johnson beauftragt worden, der an die Macht gewollt - und im Detail Kennedys Fahrtroute in Dallas geplant habe. Andere Autoren gehen davon aus, dass Oswald ein CIA-Agent war und seine Vita eines Kommunisten und "einsamen Wolfs" als Tarnung erfunden wurde. Eine These, die auch Oswald Mutter Marguerite bis zu ihrem Tod vertrat.
Und dann sind da natürlich noch, wie könnte es zu Zeiten des Kalten Krieges anders sein, die Russen. Der Kreml habe den Mord angeordnet, weil man sich bei der Kuba-Krise als Verlierer gesehen habe, ist eine Spekulation. Beide Untersuchungskomissionen verneinten aber eine Rolle Moskaus.

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