Ein Orden für den Staatsanwalt?

BERLIN. Bereits im März 2000 wusste Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier von dem Streit zwischen Otto Schily und Joschka Fischer über die Praxis in der Visa-Vergabe. Der "Stern" vermutet, dass auch Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeweiht war.

Während sich Joschka Fischer am Dienstag am Rande der UN-Menschenrechtskommission in Genf "besorgt über die Lage in Kirgisien" äußerte, wuchs in Berlin die Sorge über die politische Zukunft des Bundesaußenministers. Nach einer Vorabmeldung des Hamburger Magazins "Stern" waren nicht nur Fischer und Innenminister Otto Schily, sondern auch das Kanzleramt frühzeitig über die Problematik des so genannten "Volmer-Erlasses" informiert. Zumindest Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier wusste laut Aktenlage Bescheid, dass sich Fischer und Schily im Frühjahr 2000 über den Sinn der freizügigen Visa-Vergabe gestritten hatten. Ob auch Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeweiht war, wie der "Stern" vermutet, bleibt weiter unklar. Ein Regierungssprecher sagte am Dienstag, die Akten böten keinen Hinweis, dass Schröder von Steinmeier unterrichtet worden sei. Tatsächlich ist lediglich der engste Mitarbeiter des Kanzlers am 13. März 2000 per Fax davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sich Innenminister Schily beim "sehr geehrten Kollegen" Fischer über den Visa-Erlass ("Im Zweifel für die Reisefreiheit") beschwert habe. Dieser stehe im Widerspruch zum Schengen-Abkommen. Allerdings halten es politische Kreise in Berlin für "äußerst unwahrscheinlich", dass Steinmeier die brisanten Informationen für sich behalten haben könnte. Diese Vermutung nährt auch ein weiteres Schriftstück des Referatsleiters Hans-Joachim Stange an Minister Schily, in dem handschriftlich vermerkt ist, dass es "möglich ist, dass der Bundeskanzler die Angelegenheit ansprechen wird". Schröder hat dies aber nicht getan - um Fischer zu "schonen", wie der "Stern" glaubt. Nach Angaben des Regierungssprechers hat sich Steinmeier um die Sache gekümmert und die betroffenen Minister gebeten, den Sachverhalt zu klären. Dies sei dann auch bei einem Gespräch zwischen Fischer und Schily geschehen. Untersuchungsausschuss muss Umschwung klären

Scheinbar hat man tatsächlich einen Konsens erzielt, denn zwei Monate später soll Innenstaatssekretär Fritz Rudolf Körper (SPD) laut der Wochenzeitung "Die Zeit" dem Bundestagsinnenausschuss bestätigt haben, dass die neue Visa-Praxis "mit den gesetzlichen Vorschriften und den Bestimmungen des Schengener Übereinkommens in Einklang steht". Wie es zu diesem Umschwung im Hause Schily kam, wird nun der Untersuchungsausschuss klären müssen. Unterdessen nehmen andere Aspekte der Affäre groteske Züge an. Nachdem der Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles anlässlich seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss mit dem Satz zitiert wurde: "Wenn ich in Berlin Staatsanwalt wäre, würde ich gegen Joschka Fischer ermitteln", sah sich die Kölner Staatsanwaltschaft am Dienstag zu einer Klarstellung gezwungen. Man habe "keinerlei Anlass, derartige Ermittlungen zu erwägen, geschweige denn, dies anderen zu empfehlen", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Jürgen Kapischke. Bülles hatte den Fall mit seiner Anklage gegen den Schleuser Anatoli B. ins Rollen gebracht. Am selben Tag regte der Ausschussvorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) an, Bülles das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. Zur Begründung führte Uhl an, der Staatsanwalt habe nicht nur die Visa-Affäre aufgedeckt, sondern sich in besonderem Maße um die Bekämpfung der Kriminalität verdient gemacht.

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