Ein Prozess wie im amerikanischen Fernsehen

Spangdahlem · Vor dem Spangdahlemer Militärgericht hat gestern die Hauptverhandlung gegen einen 22-jährigen amerikanischen Soldaten begonnen. Ihm wird vorgeworfen, seinen erst acht Monate alten Sohn so schwer misshandelt zu haben, dass das Kind an den Folgen starb. Die Verteidiger des Mannes plädieren auf nicht schuldig. Ein Urteil wird frühestens am 21. September erwartet.

 Ein Bild, wie man es sonst nur aus amerikanischen Gerichtsserien kennt: In diesem Saal muss sich in Spangdahlem nach dem gewaltsamen Tod seines kleinen Sohnes ein US-Soldat verantworten. Hinten der Richtertisch, links die Geschworenenbänke, im Vordergrund werden die Vertreter der Anklage sitzen. Kurz nachdem sie dieses Foto geschossen hat, muss unsere Redakteurin ihre Kamera und ihr Handy abgeben. Flüstern ist in den Zuschauerreihen des US-Militärgerichts in Spangdahlem ebenso untersagt wie vielsagende Kopfbewegungen. TV-Foto: Katharina Hammermann

Ein Bild, wie man es sonst nur aus amerikanischen Gerichtsserien kennt: In diesem Saal muss sich in Spangdahlem nach dem gewaltsamen Tod seines kleinen Sohnes ein US-Soldat verantworten. Hinten der Richtertisch, links die Geschworenenbänke, im Vordergrund werden die Vertreter der Anklage sitzen. Kurz nachdem sie dieses Foto geschossen hat, muss unsere Redakteurin ihre Kamera und ihr Handy abgeben. Flüstern ist in den Zuschauerreihen des US-Militärgerichts in Spangdahlem ebenso untersagt wie vielsagende Kopfbewegungen. TV-Foto: Katharina Hammermann

Spangdahlem. Obwohl es draußen wie drinnen herbstlich kühl ist, füllen die Ventilatoren den Raum mit ihrem leisen Surren, während ein dicker blauer Teppich die Schritte der eintreffenden Zuschauer dämpft. Sie unterhalten sich flüsternd und blicken gespannt über den dunkel gebeizten Holzzaun, der sie von einer Szenerie trennt, die die meisten Deutschen nur aus dem Fernsehen kennen: ein amerikanisches Militärgericht.
Vor diesem Gericht hat auf dem Luftwaffenstützpunkt Spangdahlem die Hauptverhandlung gegen einen 22-jährigen Unteroffizier der US-Luftwaffe begonnen. Er ist des Totschlags, der Körperverletzung und der Kindesgefährdung angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, seinen erst acht Monate alten Sohn im September 2010 so brutal geschüttelt zu haben, dass der Säugling wenige Wochen später an seinen schweren Gehirnverletzungen starb.
Die Mutter - die zwar ebenfalls Amerikanerin ist, als Nichtarmeeangehörige jedoch deutschem Recht untersteht - ist vom Trierer Landgericht wegen ihrer Mitschuld an dem Tod des Jungen im vergangenen Mai zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. "Sie hätte ihr Kind schützen müssen", sagte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung. Die 23-jährige Frau sitzt bereits seit etwa einem Jahr im Gefängnis.
Ihr Ehemann hingegen kann sich nach wie vor frei bewegen: Er arbeitet (wenn auch unter Aufsicht) weiterhin für die Logistikstaffel des Jagdgeschwaders. Ohne Handschellen betritt der kleine, kräftige Mann den Gerichtssaal. Sein Gesicht wirkt ernst. Sein Blick traurig. Seine Haltung stramm - wie die aller anderen Militärangehörigen im Saal. Wie sie trägt auch der Angeklagte eine perfekt gebügelte blaue Uniform. Disziplin ist an diesem Ort oberstes Gebot. So lauten die wenigen Worte, die der Angeklagte an diesem ersten Prozesstag zu der streng dreinblickenden Richterin sagt, fast alle gleich. "Yes, Ma\'am": Er kennt seine Rechte. "Yes, Ma\'am": Er versteht, was ihm vorgeworfen wird. "Yes Ma\'am": Er entscheidet sich für ein Gerichtsverfahren, bei dem nicht die Richterin, sondern fünf Geschworene das Urteil fällen. Ein Urteil, das aus Sicht der Verteidiger "not guilty" - nicht schuldig in allen Anklagepunkten lauten muss.
Hunderte persönliche Fragen


Die Geschworenen müssen allerdings noch gewählt werden: aus 21 Armeeangehörigen, die links im Saal Platz nehmen. Eine Wahl, die mindestens einen Prozesstag in Anspruch nimmt. Denn das Prozedere ist komplex. Im Laufe des Tages müssen die 21 potenziellen Geschworenen öffentlich Hunderte zum Teil sehr persönliche Fragen beantworten: Wer kennt den Angeklagten oder einen der 40 infrage kommenden Zeugen? Wer hatte in seinem Umfeld bereits mit Kindesmisshandlung zu tun? Wer ist medizinisch geschult? Sind sie stark genug für die Beweisfotos? Wer hat schon mal ein Kind verloren? Wer ist von den 21 wessen Untergebener?
Während der Vertreter der Anklage neben vielem anderen wissen will: "Stimmen Sie zu, dass manche Menschen in ihrem privaten Leben ganz anders sind als in ihrem beruflichen?", fragt die Verteidigerin: "Glauben sie, dass Eltern ihr Kind auch unabsichtlich verletzen können?" Fragen, die helfen sollen, die besten Geschworenen zu finden - worüber wegen der Unterschiedlichkeit der Ansichten zunächst zu diskutieren ist. Fragen, die aber auch andeuten könnten, in welche Richtung Anklage und Verteidigung argumentieren wollen: ein Tyrann mit einem Doppelleben? Oder nur ein unglücklicher Unfall? Das Urteil wird frühestens am 21. September erwartet. Um den Angeklagten schuldig zu sprechen, müssen zwei Drittel der Geschworenen zustimmen. Vorher wird natürlich hinter verschlossenen Türen diskutiert. Ganz wie im Fernsehen.

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