Ein Rennen gegen die Zeit

Erderwärmung und Klimawandel schreiten nach neuen Berechnungen von Wissenschaftlern viel schneller voran als bisher befürchtet: Gestern schlugen Klimaschützer in der Bundeshauptstadt Alarm.

Berlin. "Es darf jetzt nirgendwo mehr etwas schief gehen". Diesen eindringlichen Appell richtete der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung, Hans Joachim Schellnhuber, gestern an die Politik. Das geplante globale Klimaabkommen im nächsten Jahr in Kopenhagen müsse gelingen und eine Halbierung des CO{-2}-Ausstoßes bis 2050 erreicht werden. Sonst sei eine Erwärmung der Erde um über zwei Grad mit unabsehbaren Konsequenzen nicht mehr zu verhindern.

Schellnhuber bezog sich auf eine neue amerikanische Studie, wonach bereits die bisher ausgestoßenen Treibhausgase zu einer Erderwärmung von 2,4 Grad führen. Diese Studie habe jedoch nicht bedacht, dass die Ozeane noch CO{-2} speichern können, allerdings mit abnehmender Tendenz. Insofern sei die Zwei-Grad-Grenze noch immer möglich. Auf der anderen Seite stünden Klimasysteme, die bei einem Überschreiten eine "Kippwirkung" entfalten könnten. So verlaufe die Eisschmelze in Grönland und auf dem Himalaya schon jetzt wesentlich schneller als erwartet. Auch der südamerikanische Regenwald gehöre zu den Risikogebieten. Schellnhuber: "Die Situation ist viel dramatischer, als wir noch vor wenigen Jahren dachten". Der Anstieg des Meeresspiegels sei bisher zu knapp gerechnet. Er werde gegen Ende des Jahrhunderts bei einem Meter liegen. "Es ist ein wirklich dramatisches Rennen gegen die Zeit", sagte Schellnhuber. Für ein Umsteuern habe man nur noch zehn Jahre. "Dann muss die Wende erreicht werden."

Derzeit steigt der CO{-2}-Ausstoß trotz aller Anstrengungen einzelner Staaten weltweit jedoch rapide an - um 3,5 Prozent pro Jahr. Grund sei vor allem die ineffiziente Verbrennung von Kohle in Schwellenländern wie China und Indien, sagte der Leiter des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie, Jochem Marotzke. "Wenn der deutsche Technologiestandard weltweit gelten würde, könnte der Ausstoß allein schon dadurch halbiert werden." Hinzu komme die zunehmende Landnutzung und die Zerstörung von Regenwäldern.

Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht in der aktuellen Finanzkrise eine Chance für den Klimaschutz. Viele Investoren würden nun erkennen, dass es besser sei, ihr Geld in reale Märkte anzulegen statt in Spekulation. Energie-Effizienz und erneuerbare Energien hätten ein riesiges Potenzial. Allerdings klangen Gabriels Ausführungen wie eine vorsorgliche Warnung. Keinesfalls dürfe wegen der Abschwächung des Wachstums nun am Klimaschutz gespart werden, auch dürften die Klimaschutzziele nicht ausgesetzt oder aufgegeben werden. "Das wäre eine unglaubliche Dummheit." Die EU müsse an ihren Vorgaben festhalten und sie noch in diesem Jahr verbindlich beschließen. Der Minister hielt auch an seiner Absicht fest, die Emissionsrechte vollständig zu versteigern. Die Einnahmen müssten aber direkt dem Klimaschutz zugute kommen. Vor allen Dingen müsse künftig bei der Gebäudesanierung mehr getan werden. Die rund 100 Milliarden Dollar, die der Klimaschutz weltweit jährlich koste, seien "nichts im Vergleich zu den drei Billionen, die in den Casinos der Finanzmärkte verjubelt wurden", sagte der Minister.

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