"Ein Stück meines Herzens ist tot"

KLÜSSERATH. Vor zwei Jahren stand der Winzerort Klüsserath (Kreis Trier-Saarburg) unter Schock. Ein 20 Monate alter Junge ertrank im Mühlenbach. Wie gehen die Eltern mit diesem Schicksalsschlag um?

 Die Familie Bosveld Heinsius-Kroes: Marjolein, Sophie, Jasper (von links).Foto: Friedemann Vetter

Die Familie Bosveld Heinsius-Kroes: Marjolein, Sophie, Jasper (von links).Foto: Friedemann Vetter

"Behalt dein Lachen - wo immer du jetzt auch sein magst" steht auf Holländisch auf dem gläsernen Grabstein, der die Form einer Glasscherbe hat. Studentenblumen blühen auf dem mit Kieselsteinen eingefassten Kindergrab, das mit einem Teddy-Bär und einem aus Gips gegossenen Hund geschmückt ist. Der Grabstein wird von einem Regenbogen geteilt. Links unten ein Bild eines Teddy-Bären, dem Lieblingskuscheltier, des Kindes, das hier direkt neben der Kirche auf dem Klüsserather Friedhof seine letzte Ruhe gefunden hat. Rechts neben dem Regenbogen ein Schwarz-Weiß-Bild eines kleinen Jungen. Er lacht. "Jasper Cornelis van Bosveld Heinsius 05-12-1999 18-07-2001" steht auf dem Grabstein.Jaspertje, wie ihn seine Eltern und seine Schwester Sophie genannt haben, ist nur eineinhalb Jahre alt geworden. Am 18. Juli vor zwei Jahren ist er im Klüsserather Mühlenbach direkt hinter seinem Elternhaus ertrunken. Den ganzen Nachmittag hatte er an dem sonnigen Juli-Tag auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Mühle gespielt. Gegen 16.30 Uhr verloren ihn seine Eltern aus den Augen. Verzweifelt haben sie ihn gesucht: im Haus, auf den Nachbargrundstücken. Dann haben sie die Polizei verständigt. Fast zwei Stunden später wurde Jaspertje gefunden, tot im Mühlenbach. Eine Tragödie, die den Weinort geschockt hat.Können Eltern mit einem solchen Drama fertig werden? "So etwas kann man nie vergessen. Ein Stück meines Herzen ist für immer tot", sagt die Mutter Majorlein van Bosveld, 45, mit Tränen in den Augen.Jasper ist lebendig - überall in den Räumen der liebevoll renovierten ehemaligen Mühle hängen Familienfotos. Der runde Tisch in dem hellen Wohnzimmer mit Blick auf den Bach erinnert an einen Altar voller Fotos. Auf vielen ist der stets lachende Junge zu sehen: Jasper mit Sophie, die damals vier Jahre alt war, mit der er so gerne gespielt hat; Jasper mit seinen älteren Stief-Brüdern; mit den Neufundländer-Hunden; mit den Katzen; Jasper im Garten, der eigentlich ein Paradies für Kinder ist mit Spielplatz, Tieren und viel Platz - direkt am Bach, der für Jaspertje zur tödlichen Falle geworden ist.Die Mutter geht oft zu Jaspertjens Grab. Spricht mit ihm. Ihr Mann, Jasper, 59, scheut den Weg zum Friedhof. "Was soll ich da? Da ist nur ein Grab. Jaspertje lebt hier. Hier ist meine Erinnerung an ihn." Diese Erinnerungen, die im Kopf festgebrannten Bilder von einem Jungen, der jeden Tag genossen hat, helfen die Trauer zu bewältigen. Es fällt den Eltern immer noch schwer, über die Tage nach dem tragischen Unfall zu sprechen. "Zunächst steht man unter Schock. Man hat einen klaren Kopf, ist aber innerlich leer, verzweifelt. Man will nicht mehr leben. Dann fragt man sich ständig: Warum? Doch man erhält keine Antwort." Fast unerträglich ist es, wenn Majorlein van Bosveld Dreijährige zum Kindergarten gehen sieht: "Da wäre Jaspertje jetzt auch dabei. Ich muss dann immer weinen." Die Trauer der van Bosvelds besteht nicht aus Schweigen und Verdrängen. "Wir reden darüber. Miteinander, mit unserer Tochter, mit Freunden." Die finden sie vor allem in den Familien aus dem Dorf, die ihnen damals beigestanden haben.Den Unfall betrachten sie als Schicksal: "Wäre es hier nicht passiert, dann halt woanders", versucht Vater Jasper das immer noch Unfassbare zu begreifen. Kurz nach Jaspertjens Geburt sind sie in die ehemalige Mühle am Ortsrand gezogen, um ihren Kindern eine ideale Umgebung zu bieten - ohne Autos, mitten in der Natur. Ans Wegziehen haben sie nach dem 18. Juli 2001 nicht gedacht. "Natürlich ist es schwer hier zu leben. Manchmal können wir das Rauschen des Mühlbachs nicht ertragen." Trotzdem sei hier "unser Paradies", sagen die Eltern.Streichelzoo für andere Kinder

Und ein Stück davon wollen sie anderen Kindern schenken. Im vergangenen Jahr haben sie in Gedenken an den kleinen Jasper hinter dem Haus, auf der Wiese, wo er so gerne gespielt hat, einen Streichelzoo eröffnet - Jaspertjes Little Ranch. Vor allem Behindertengruppen aus der Umgebung, aus Luxemburg und Frankreich kommen regelmäßig zu Besuch. Einem Kind das geben, was Jaspertje gehabt hat und Sophie noch heute genießt, das würden sie gerne auf Dauer. Seit einem Jahr bemühen sie sich, um ein Pflegekind - erfolglos. "Wir können und wollen unseren Sohn nicht ersetzen. Ein benachteiligtes Kind soll einfach nur glücklich sein."In Klüsserath sind die Ereignisse von vor zwei Jahren noch nicht vergessen. Doch kaum einer will darüber reden. Das sei noch immer eine "brisante Angelegenheit", heißt es. Der Streit um die Beerdigung des Jungen, der nicht in der Kirche aufgebahrt werden durfte, für den die Glocken nicht geläutet werden sollten, "die er doch so gerne gehört hat, als wir Sophie vom Kindergarten abgeholt haben". Die Debatte um die Totenfeier, die zu Hause gehalten wurde - dieser Streit ist noch längst nicht vergessen in dem Moseldorf. Pfarrer Jürgen Fuhrmann, der damals bei der Beerdigung in Urlaub gewesen ist, hat, wie er sagt, "größtes Verständnis, wenn eine Familie, egal welcher Religion in einer anderen Art trauert". Er bietet den Eltern an, mit ihm zu reden: "Für mich ist das absolut keine Frage, falls denn der Wunsch besteht."Für Trauerforscher ist die Art wie die van Bosvelds mit dem Verlust ihres Sohnes umzugehen versuchen "beeindruckend und konstruktiv", wie es ein Psychologe bezeichnet. "Sie versuchen das Trauma in ihr Leben zu integrieren, unabhängig davon, was die Außenwelt über sie denkt." Verarbeiten im Sinne, dass die Trauer irgendwann einmal vorbei ist, könne man eine solche Katastrophe auf keinen Fall, so die Sicht eines Trauerforschers.Auf Jaspertjes Grab stehen Studentenblumen. Der Junge hatte die Samen für die Blumen zusammen mit seiner Mutter kurz vor dem Unfall gekauft. Jetzt blühen sie für ihn.

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