Ein Stück Normalität

Die Tarifgemeinschaft der Bundesländer und der Marburger Bund werden klug genug sein, die Geduld der Öffentlichkeit nicht weiter zu strapazieren. Deshalb ist heute mit einem Abschluss im Tarifstreit zu rechnen.

Und mancher Bürger wird sich fragen, ob das Getöse der letzten Wochen wirklich nötig war und ob man nicht unter Zurückstellung persönlicher Eitelkeiten und Animositäten schneller und schmerzloser zum Ziel hätte kommen können. Das klingt vernünftig, lässt aber außer Acht, dass der Tarifstreit der Klinik-Ärzte 2006 mehr war als ein nach üblichen Ritualen abzuwickelnder Routine-Arbeitskampf. Die neue Tarifstruktur muss massive Umbrüche eines ganzen Berufsbildes in ein handhabbares Korsett gießen. Jahrzehntelang lag der ärztlichen Berufs-Karriere eine Art unausgesprochener Deal zugrunde. Im Laufe der Jahre winkte jedem Mediziner, der Wert darauf legte, eine sichere Laufbahn als Oberarzt, Chefarzt oder wohlbestallter Doktor mit eigener Praxis. Dafür nahm man ein paar mäßig bezahlte und mit knallharter Ausbeutung verbundene Berufseinstiegs-Jahre im Krankenhaus in Kauf. Erst die Sklavenjahre, dann Halbgott in Weiß: Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Der Markt für Neueinsteiger ist knallhart, wer heute Arzt wird, kann zwar mit 50 immer noch auf dem Golfplatz landen, aber genau so gut auf dem Arbeitsamt oder beim stressbedingten Herzinfarkt. Das ist ein Stück Normalität, wie ihn andere Arbeitnehmer schon lange kennen. Genau so normal und legitim ist es aber dann auch, dass Ärzte mit harten Bandagen um ihre Interessen kämpfen. Und dass die Arbeitgeber dagegenhalten. Erstaunlicherweise haben das die Patienten ganz gut verstanden: Der beiderseitig erhoffte Buhmann-Effekt ist ausgeblieben. Bis jetzt. Aber jeder weitere Streiktag würde die Akzeptanz auf eine harte Probe stellen. d.lintz@volksfreund.de

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