Ein Test für neue politische Landschaften

Berlin · Die Landtagswahlen am Sonntag können zu einer deutschlandweiten Premiere führen. Im Freistaat Thüringen zeichnet sich ein rot-rotes Bündnis unter Führung der Linkspartei ab.

Berlin. Sigmar Gabriel und Yasmin Fahimi haben schon mal abgewinkt. Thüringen sei kein Signal für den Bund, erklärten der SPD-Chef und seine Generalsekretärin in den vergangenen Tagen gleich mehrfach. Das allerdings stimmt nur bedingt. Wenn der Freistaat an diesem Sonntag wählt, könnte es in Erfurt zu einer Fortsetzung der großen Koalition kommen. Für Schwarz-Rot in Berlin bliebe ein solches Resultat gewissermaßen geschmacksneutral. Wahrscheinlicher ist aber eine deutschlandweite Premiere: Rot-Rot unter Führung der Linkspartei.
Prekäre Lage der SPD


Die erste Koalition aus SPD und Linken, die sich zuvor PDS nannte, gab es bereits 1998 in Mecklenburg-Vorpommern. Später folgten Berlin und Brandenburg. Doch immer stellten dabei die Sozialdemokraten den Ministerpräsidenten. Das entsprach auch der Stimmenverteilung zwischen beiden Parteien. War es umgekehrt, flüchtete sich die SPD lieber in eine große Koalition mit der CDU. So wie 2011 in Sachsen-Anhalt und eben auch in Thüringen zwei Jahre zuvor. Schon damals hieß der Spitzenkandidat der Linken dort Bodo Ramelow. Und schon damals schien in Erfurt ein rot-rotes Bündnis unter dunkelroter Führung zum Greifen nah. Käme es jetzt womöglich mit grüner Schützenhilfe tatsächlich dazu, säße die SPD zwar weiter mit an den Schalthebeln der Macht. Aber gleichzeitig würde auch ihre prekäre Lage im Osten drastisch offenbar. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt sind die Sozialdemokraten nur noch drittstärkste Kraft hinter CDU und Linkspartei. Und nach allen Prognosen droht der SPD in Erfurt sogar ein noch schlechteres Wahlergebnis als vor fünf Jahren. Damals waren es magere 18,5 Prozent. Die aktuelle Vorhersage liegt bei 16 Prozent.
So dürften Gabriel & Co. die Wahlereignisse am Sonntag mit gemischten Gefühlen verfolgen. Zumal rot-rote und rot-rot-grüne Gedankenspiele in Berlin nicht gerade Konjunktur haben. Durch die außenpolitischen Differenzen wegen der Ukraine und dem Irak ist die Distanz zwischen SPD und Linken eher noch gewachsen. Linke und Grüne pflegen an dieser Stelle beinah schon eine regelrechte Feindschaft. Realistische Machtoptionen sehen anders aus.
Immerhin - und damit kann man sich im Willy-Brandt-Haus trösten - ist Brandenburg ein Hort der Stabilität für die SPD. Auch dort wird am Sonntag gewählt. Und genauso wie in Sachsen vor zwei Wochen steht eigentlich schon vor dem Urnengang fest, dass der alte Ministerpräsident auch der neue sein wird. Seit einem Vierteljahrhundert ist die SPD stärkste Partei in der Mark. Nach Manfred Stolpe und Matthias Platzeck steht jetzt Dietmar Woidke an der Spitze der rot-roten Landesregierung. Der bundesweit wenig bekannte 1,96-Meter-Mann könnte nach allen Umfragen auch mit der CDU koalieren. Doch das ist sehr unwahrscheinlich. "Es gibt derzeit keinen Anlass, die Pferde zu wechseln", hat Woidke im Wahlkampf gesagt.
AfD als größter Gewinner


Damit würde sich auch an den Kräfteverhältnissen im Bundesrat praktisch nichts ändern. Dort haben SPD und Union derzeit 27 von insgesamt 69 Stimmen. Um ihre Projekte ohne Kompromisse mit den Grünen durchzusetzen, bräuchte die große Koalition in Berlin dort aber mindestens 35 Stimmen. Diese Mehrheit wäre nur dann erreicht, wenn es in Thüringen bei Schwarz-Rot bliebe und in Sachsen sowie Brandenburg am Ende ebenfalls große Koalitionen zustande kämen.

Der größte Gewinner des Wahlabends am Sonntag steht übrigens auch schon fest. Nachdem die euro-kritische Alternative für Deutschland (AfD) bereits in Sachsen aus dem Stand fast zehn Prozent der Stimmen einheimste, rechnen die Demoskopen mit ähnlich hohen Werten auch in Thüringen und Brandenburg. In diesem Fall hätte die CDU ein wachsendes Problem. So wie der SPD die Linke zu schaffen macht, kommt die Union von rechts in Bedrängnis. Und der Osten ist das Testfeld.

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