Ein trauriger Parteitag

Eigentlich ist der 52. Parteitag der SPD kein aufregender Termin. Parteitage sind in der Regel eher dröge Veranstaltungen, auf denen viel geredet und abgestimmt wird, meist ohne nachhaltige Wirkung. Ausnahmen wie 1995 in Mannheim, als Lafontaine den Putsch inszenierte und den Vorsitzenden Scharping aus dem Amt schubste, bestätigen die Regel.

Was die Genossen und ihre Gäste diesmal zu erwarten haben, ist völlig ungewiss. Die Vermutungen reichen vom reinigenden Gewitter bis zur Palastrevolution. Auf jeden Fall wird es ein trauriger Parteitag - angesichts der real existierenden Lage kein Wunder: Die SPD ist, obwohl sie Berlin (noch) regiert, in die relative Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Umfragewerte, die sich im Mitleidsbereich bewegen (rund 25 bis 29 Prozent); verlorene Wahlen in Serie (wie schon im Chaos-Jahr 1999); eine resignative Stimmung (in einem Jahr über 30 000 Parteiaustritte); und grassierende Hoffnungslosigkeit (fast Dreiviertel der Genossen geben die Wahl 2006 bereits verloren). Ernüchternde Kennziffern - in der allerdings auch eine Chance liegt. Bundeskanzler und Parteichef Gerhard Schröder kann nur noch gewinnen, denn alle wissen: Wenn ihm nach der Bevölkerung auch noch seine Parteifreunde das Vertrauen entzögen, wäre er (und damit Rot-Grün) vorzeitig am Ende. Eine geschickte Parteitags-Regie soll dafür sorgen, dass dieser Fall nicht eintritt. Deshalb werden die frustrierten Linken auch ein Stück Leine bekommen, um durch programmatischen Landgewinn etwas an Selbstachtung zurück gewinnen zu können. Der Kanzler wird dies zulassen, weil er weiß, dass er den Bogen nicht überspannen darf. Umgekehrt wissen die 523 Delegierten, dass sie auf diesen Gerhard Schröder, der die Nation mit den früher geächteten Rezepten der Schwarzen sanieren will, angewiesen sind - eine gleichgewichtige Führungsfigur ist nicht in Sicht. Brandts stolze "Enkel" haben sich ja zuletzt schließlich so lange gegenseitig bekämpft, bis nur noch ein Schröder übrig geblieben ist. In Bochum soll also das berühmte "Aufbruchsignal" ertönen, jenes Phänomen, das jede Partei unentwegt beschwört. Manchmal klappt das sogar, wenn es den Delegierten etwa gelingt, autosuggestive Kräfte zu entwickeln. Daran ist diesmal aber nicht zu denken - der Frust ist zu groß und zu tiefgreifend. Viele Genossen haben ja nicht ein bisschen was auszusetzen an der Regierungspolitik, ihnen schmeckt die ganze Richtung nicht. Da Schröder und sein General Olaf Scholz diese jedoch als "alternativlos" erklärt haben, bleibt dem Parteitag nichts übrig, als den verordneten Kurswechsel zu schlucken. Denn jedes substanzielle Aufmucken würde den rot- grünen Untergang beschleunigen. Schröder wird deshalb in Bochum obsiegen. Aber der Parteitag in der "Herzkammer der SPD" wird dem Kanzler auch zeigen, dass die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht sind. Das Genöle in der Partei wird erst aufhören, wenn die monierte "soziale Schieflage" korrigiert ist und symbolträchtige Luftkissen wie Vermögenssteuer, höhere Erbschaftsteuer und Ausbildungsabgabe dabei helfen, die harte Landung in der Wirklichkeit abzufedern. Wenn Schröder und sein Scholz dann noch akzeptieren, dass sich Grundwerte einer Partei nicht beliebig "modernisieren" lassen, und sie dafür sorgen, dass das innere Wertegerüst der SPD wieder in Ordnung kommt, kann dies der erste Schritt sein, die Enttäuschten und Erschöpften wieder zurück zu holen. nachrichten.red@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort