Ein Tuch mit sieben Wünschen

"Noruz" markiert im iranischen Kalender den Frühlingsbeginn und gleichzeitig den Jahreswechsel. Der Eifeler Student Andreas Burkard hat das Fest in Teheran miterlebt.

Teheran. Für gewöhnlich brauche ich nicht mehr als fünf Minuten vom Tadjrisch- zum Jerusalem-Platz. Taxen hupen sich durch den Berufsverkehr, Treppen führen hinab in die verwinkelten, staubigen Gassen des Basars, vor dessen Bäckereien das traditionelle Steinbrot zum Kühlen ausliegt.

Heute jedoch dauert der Spaziergang eine Stunde: Verkäufer belagern den Bürgersteig - laut um Kundschaft buhlend. Vor ihnen ausgebreitet, auf Decken, Ständern und Kisten: Kleinigkeiten aller Art. Zimperlich geht es im Gedränge nicht zu, da wird gerne auch mal um die letzte Sonnenbrille gekämpft.

Die Jungs im Krämerladen um die Ecke, allesamt aserbaidschanische Türken, sind zu Freunden geworden. Ihr Verein, Persepolis Teheran, hat wieder gewonnen, Alireza zählt mir noch mal die Spieler der deutschen Weltmeistermannschaft von 1990 auf. Unvermutet stürzt eine ältere Dame, sichtlich aufgelöst, ins Geschäft: "Bitte sagen Sie mir, dass Sie noch Hyazinthen haben!" Die Erklärung für all die Aufregung: Es ist der letzte Tag vor dem iranischen Neujahrsfest "Noruz".

Während wir Deutschen an Silvester das Fondue-Set hervorkramen und ein paar Raketen in die Luft jagen, hat das iranische Neujahrsfest eine Fülle von Traditionen und Bräuchen zu bieten. Wie auch im westlichen Kulturkreis bedeutet das neue Jahr Aufbruch und Wandel - traditionell durch den Kauf neuer Kleidung und einen Hausputz verbildlicht.

Wenige Tage vor Noruz begeht der Iran das "chaharshambe suri - Fest": Feuerrituale beschwören den Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Meine hohen Erwartungen - geweckt durch Aussagen einer Oxford-Professorin ("An diesem Tag stelle ich hier Kerzen auf und springe dreimal über das Feuer….") - wurden allerdings enttäuscht: auf der Straße nur Jugendliche, die ein Spektakel mit chinesischen Böllern veranstalten.

Unverzichtbarer Bestandteil des Neujahrsfestes selbst ist die "Decke der sieben S" (sofre-e haft sin): Sieben Dinge, die im Persischen mit dem Buchstaben S anfangen, werden auf einem Tuch ausgelegt, jedes Stück (darunter auch die Hyazinthe) hat eine andere Bedeutung: Reichtum, Gesundheit, Glück… sollen im neuen Jahr beschieden sein. Die ältere Dame im Laden hatte sich Sorgen gemacht, nicht alles beizeiten zusammenzuhaben.

Wieder zu Hause erwartet mich Obamas Neujahrsgruß an das iranische Volk: "Dieses Fest trägt das Versprechen auf einen neuen Tag in sich, auf Frieden zwischen den Staaten."

In den letzten Monaten habe ich mit Aschura, 30 Jahre Revolution und Noruz die drei großen Pfeiler iranischer Identität vor Augen gehabt: Islam, Gottesstaat und Traditionen der alten Perser. Gerade in letzter Zeit musste ich deutlich erfahren, wie schwer es ist, mit all den tiefen Widersprüchen, die zwangsläufig in diesem Dreieck entstehen, zu leben. Ob sie jemals aufgelöst werden, ob der neue Tag bald anbricht, bleibt zu bezweifeln. ZUr Person Andreas Burkard ist im Eifel-Ort Greimerath aufgewachsen. Der 22-Jährige studiert seit 2007 Islamwissenschaften an der Universität Oxford. Seit vergangenem Jahr ist er für ein Jahr in Teheran. Im TV schreibt Burkard in unregelmäßigen Abständen über das Leben im Iran.

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