Ein Volk von Raffkes?

Berlin . Regierungssprecher Bela Anda hatte daher gestern ordentlich Probleme, die Vorwürfe von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu erklären.

Die Deutschen - ein Volk von Raffkes? "In Ost wie in West gibt es eine Mentalität bis weit in die Mittelschicht hinein, dass man staatliche Leistungen mitnimmt, wo man sie kriegen kann, auch wenn es eigentlich ein ausreichendes Arbeitseinkommen in der Familie gibt", prangerte Schröder an. Starker Tobak. Der Kanzler auf den Spuren des Bundespräsidenten: Horst Köhler hatte in der vergangenen Woche für Aufregung gesorgt, weil ein Interview von ihm als Abgesang auf das Ziel der gleichen Lebensverhältnisse in Deutschland gedeutet wurde. Gerhard Schröders Frontalangriff auf die Bundesbürger in der Zeitschrift "Guter Rat" hat jetzt ähnliche Aufreger-Qualitäten. Aber was wollte der Kanzler eigentlich mit seinem Vorwurf an die Deutschen sagen? Die Mitnahmementalität könne sich auf Dauer kein Sozialstaat leisten, ohne daran zu Grunde zu gehen, so seine Botschaft mit Blick auf die Sozialreformen. "Wenn jeder so handelt in unserer Gesellschaft, ist bald nichts mehr da, was mitzunehmen ist", "präzisierte" Regierungssprecher Anda. Frage: Auf welche Fakten und Daten berufe sich denn der Kanzler, wenn er so hart mit seinen Landsleuten ins Gericht gehe? Antwort des Wirtschaftsministeriums: "Es liegt uns kein Zahlenmaterial vor." Es sei schließlich ein "Ausdruck dieser Mentalität, dass sie nicht zählbar ist, dass sie unentdeckt bleibt". Der Regierungschef habe die Äußerungen auf der Grundlage von Gesprächen getätigt, ergänzte Sprecher Anda wachsweich, die er bei seinen Besuchen in den Arbeitsagenturen führe. Vielleicht meinte Schröder die missbräuchliche Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen - die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit verzeichnete in 2003 genau 224 900 solcher Fälle. Aber der Niedesachse nutzte ja nicht das Wort Missbrauch, sondern "mitnimmt". Frage: Ob der Kanzler dies daher als Aufforderung verstehe, sich zurückzuhalten, nicht alles mitzunehmen an Leistungen, selbst wenn sie einem zustünden? Antwort Anda: Das sei ein "Fehlverständnis", denn es gehe dem Kanzler um das Mitnehmen ohne klare Bedürftigkeit. Nächste Frage: Weshalb habe Schröder die Vermögenden ausgespart und die Mitnahmementalität nur bis in die Mittelschicht hinein festgestellt? Die Debatte über Abfindungen und überzogene Managergehälter ist ja noch nicht all zu lange her. Wenn es bis in die Oberschicht gehe, "muss das genauso geahndet werden", interpretierte Anda die Sätze seines Chef. Gut zu wissen, gesagt hat es Schröder aber nicht.

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