Eine heiße Metropole

MOSKAU. In den nächsten Monaten beobachtet TV-Mitarbeiter Johannes Aumüller während seines Auslandsaufenthalts in Moskau die "russische Seele". Seine Eindrücke fasst er für den Volksfreund in einer Serie zusammen. Heute lesen Sie die dritte "m@il aus Moskau".

Wer hat eigentlich dieses Gerücht in die Welt gesetzt, Moskau sei eine kalte Stadt? Na gut, da gibt es all-winterlich diese Aufnahmen von irgendwelchen vermeintlich Halb-Verrückten, die sich bei minus 40 Grad nackt ins Eiswasser stürzen. Minus 40 Grad, solche Zahlen gehen durch Mark und Bein und machen aus der Hauptstadt Russlands ein Frost-Symbol schlechthin. Akzeptiert. Aber vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn einmal zur laufenden Jahreszeit Kameras und Objektive mit der im Winter gezeigten Ausdauer durch die Straßen Moskaus streifen würden. Wenn es hier an etlichen Tagen nämlich wärmer ist als im amerikanischen Los Angeles, als im südamerikanischen Belo Horizonte oder im afrikanischen Mombasa. Deswegen: Nur ganz schnell weg mit der Klischeevorstellung von Moskau als der bitterkalten Ost-Metropole! Zu Temperaturen von mehr als 30 Grad gesellen sich dann noch die Abgase der Unmengen an Autos sowie - Trier-Vergleiche müssen sein - die geographische Kessellage, und das alles gemeinsam erzeugt die Tatsache, schon nach fünf Minuten im Freien mächtig ins Schwitzen zu kommen. Das Wetter hat zur Folge, dass eine Mentalität zum Vorschein kommt, die "südländisch" zu nennen ist. Das heißt tagsüber: Dauer-Siesta, in den Wohnungen, am Strand (ja, den gibt es tatsächlich und der ist auch zu empfehlen, auch wenn für die besseren Strand-Abschnitte ein paar Hundert Rubel fällig werden) oder am See - wobei es schon wunderlich anmutet, welch abgestandene Teich-Brühe der Russe zum See umbenennt und zum Badevergnügen nutzt. Und das heißt abends: an den touristischen Stätten Moskaus ein Flair, wie wir es eigentlich aus dem Italien- oder Spanien-Urlaub kennen. Hunderte von Menschen sitzen rund um den Roten Platz und den Alexandrinischen Garten, klimpern auf der Gitarre, quatschen, trinken und verwandeln Moskau in Klein-Rom. (Vielleicht wäre es sogar eher angebracht zu sagen, dass sich Rom allabendlich in Klein-Moskau verwandelt...) Die Einheimischen haben für die heiße Jahreszeit ohnehin ihre ganz eigene Erfindung - ihre "Datscha". Wer die Moskauer über ihre "Datschas" reden hört, könnte meinen, nach Puschkin habe Russland nichts Großartiges hervorgebracht als eben diese. Als "Datscha" wird so ziemlich jedes Gebäude bezeichnet, das sich ein paar Kilometer außerhalb der Stadt befindet und wohin sich der Moskauer in den langen Sommerferien oder am Wochenende mal schnell zurückziehen kann. Die Neu-Russen leisten sich dort dann eben ein Zweit-Haus mit allem Komfort und Swimming-Pool, bei den gering Verdienenden handelt es sich dabei eher um ein etwas größeres Gartenhäuschen - manchmal sogar ohne Toilette, die befindet sich auf der Straße. Aber "Datscha ist Datscha" denken sie sich, und die Hauptsache ist doch ohnehin, für ein paar Tage aus diesen ohnehin schon ungemütlichen und im Sommer erst recht ungemütlichen 20-Etagen-Bauten entfliehen zu können. d Johannes Aumüller aus Trier (22), seit sechs Jahren Mitarbeiter beim TV, absolviert derzeit ein Auslandssemester in Moskau, studiert dort vor allem die russische Sprache, aber mit mindestens genauso großem Ehrgeiz die russische Seele und die russische Mentalität - über seine Erfahrungen damit berichtet er in loser Reihenfolge in der Rubrik "m@il aus Moskau" und im Intrinet im Weblog goeast.blog.intrinet.de.

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