Eine prächtige Truppe

BERLIN. Im modernen Medienbetrieb werden Gedenktage schon eine Woche vorher begangen und Jahresrückblicke bereits ab November gesendet. Diesem Mechanismus konnten sich gestern auch die Fraktionschefs von CDU, SPD und CSU im Bundestag nicht entziehen, weshalb sie die Bilanz der ersten 100 Tage großer Koalition schon am 92. Tag zogen.

Es ist selbstverständlich eine positive Bilanz - mit leichten Differenzen. Es fing schon mit der Frage an, ob Volker Kauder (CDU), Peter Struck (SPD) und Peter Ramsauer (CSU) wirklich ganz freiwillig an diesem Mittwoch gemeinsam vor die Presse getreten waren. Im Vorfeld hatte es nämlich Berichte über erhebliche Missstimmung bei den Sozialdemokraten gegeben. Die Union verweigere sich einer gemeinsamen Bilanz und wolle allen Glanz auf ihre Kanzlerin strahlen lassen, hatte es geheißen. "Nichts da", sagte Kauder, "wir haben diese Pressekonferenz von Anfang an vorgehabt, es war nur nicht ganz einfach, einen Termin zu finden." Fakt ist, dass die Terminfindung erst am Dienstagmorgen gegen 9 Uhr in aller Eile gelang, als die Medienberichte gerade erschienen waren. Die drei Duzfreunde waren alle mit rötlichen Schlipsen angetreten. Die Unionsvertreter überboten sich mit Freundlichkeiten für den Koalitionspartner und Superlativen über das Regierungshandeln. Kauder dankte Struck für seine Verlässlichkeit und fand es "sehr bemerkenswert", wie schnell man zu einem freundschaftlichen Arbeitsklima gekommen sei. "Wir sind doch eine prächtige Truppe." Die Menschen in Deutschland hätten wieder Vertrauen gefasst. Ramsauer meinte, es werde konzentriert gearbeitet, und die Handschrift der CSU sei auch noch deutlich. Die Freude an der Zusammenarbeit ist allerdings derzeit etwas einseitig verteilt. Die SPD ist seit der Bildung der Regierung in den Umfragen immer weiter abgesackt. Parteichef Matthias Platzeck hatte am Mittwochmorgen erst gesagt, dass er damit "alles andere als zufrieden" sei. Und so nutzte Peter Struck bei der Pressekonferenz auch kleine Gelegenheiten, um Wasser in den Wein zu gießen. Als Kauder sagte, das Warten auf die große Koalition habe sich doch gelohnt, brummte der SPD-Mann, er hätte sich Rot-Grün mehr gewünscht. Eine große Koalition, so betonte der SPD-Fraktionschef, solle eine Ausnahme bleiben; nach der nächsten Wahl könne er sich durchaus Anderes vorstellen. Und zur Kanzlerin meinte Struck: "Die Zeit der roten Teppiche ist vorbei. Auch sie muss stehen, so wie ich und Müntefering stehen." Als Haupterfolg reklamiert die große Koalition die Föderalismusreform für sich, doch auch hier zeigten sich Unterschiede. Die SPD will laut Struck die Einwände gegen das Werk, besonders gegen die komplette Verlagerung der Zuständigkeit für Bildung auf die Länder, ernst nehmen. Die Reform müsse jetzt diskutiert werden; er lasse sich dabei nicht unter Zeitdruck setzen. Kauder hingegen sagte, diskutieren könne man immer, aber man werde an den Formulierungen des Koalitionsvertrags festhalten. Außerdem solle die Reform zum 1. Januar 2007 in Kraft treten. Und auch bei künftigen Themen bahnen sich schon Auseinandersetzungen an - etwa bei der Gesundheitsreform. Struck erhöhte den Druck auf die Union: "Wenn die großen Volksparteien nicht in der Lage sind, die großen Probleme der Zukunft zu lösen, hat das schwere Schäden für das Vertrauen in die Politik zur Folge." Bis zum 26. März, dem Tag der Landtagswahlen in drei Ländern wird aber weder dieses noch ein anderes schwieriges Thema angepackt. Das ist verabredet. Die Grünen, bis vor kurzem selbst Regierung und bei der Darstellung derselben auch nicht unprofessionell, fanden die frühe Bilanz selbstgefällig. Das Motto der großen Koalition heiße "Friede, Freude, Reformstillstand".

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