Eine Reform und viele Knackpunkte

TRIER. Nichts ist derzeit in Berlin so umstritten wie die Gesundheitsreform. Von den 16 Eckpunkten, die bis Ende des Jahres zu einem Gesetz werden sollen, sind einige heftig umstritten. DerTVzeigt, was einzelne Punkte für die Versicherten, die Ärzte und die Krankenkassen bedeuten.

Das Gesundheitssystem soll flexibler und transparenter werden. Erreicht werden soll das vor allem durch ein neues ärztliches Honorierungssystem. Statt des undurchsichtigen und zu Recht kritisierten Punktesystems, bei dem die niedergelassenen Ärzte pro Behandlungsschritt nach Punkten abrechnen müssen und erst mit zeitlicher Verzögerung von einem halben Jahr ihre Abrechnung durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) erhalten, sollen ambulante ärztliche Leistungen künftig mit festen Preisen vergütet werden. Folge: Die KV verliert eine ihrer bisherigen Kernaufgaben, sie ist nicht mehr für die Honorarabrechnung zuständig.Erstattungen oder Nachforderungen

Die ärztliche Selbstverwaltung soll sich stärker auf die Qualitätssicherung konzentrieren, fordert Gesundheitsministerin Ulla Schmidt. Patienten können Rechnungen für ihre Behandlungen verlangen. Auch durch die Möglichkeit, dass Kassen künftig ihren Versicherten Beiträge erstatten oder Nachzahlungen verlangen können, soll mehr Transparenz ins System kommen. Dadurch wüssten die Kassenmitglieder, ob ihre Kasse effizient arbeite oder nicht, sagt Schmidt. Die Spitzenverbände der Krankenkassen glauben jedoch nicht, dass Nachzahlungen etwa bei Versicherten mit kleinem Einkommen durchsetzbar sind. Am umstrittensten ist der neue Gesundheitsfonds, der 2008 starten soll. Alle Einnahmen des Gesundheitssystems sollen darin zusammenfließen und anschließend als Pauschale an die Kassen verteilt werden. Von wem, ist allerdings noch nicht klar. Laut Schmidt könnten das die neu zu gründenden Landesverbände der Krankenkassen, das Bundesversicherungsamt oder eine neue Behörde übernehmen. Der Gesetzgeber legt künftig einen für alle gesetzlichen Kassen geltenden Beitrag fest, das heißt, alle Versicherten und alle Arbeitgeber bezahlen den gleichen Beitrag. Wie hoch der sein wird, steht noch nicht fest. Vermutlich einigt man sich auf den durchschnittlichen Beitragssatz, der derzeit bei 14,2 Prozent liegt. Konsequenz: Kassen, die jetzt unter diesem Satz liegen, müssen mit der Einführung des Fonds ihren Beitrag erhöhen. Vorteil für Arbeitgeber: Sie müssen den Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungen nur noch an eine Stelle abführen. Politischer Wille ist es, nach der erklärten Anhebung der Beiträge um mindestens 0,5 Prozent im nächsten Jahr den Kassenbeitrag bis 2012 nicht zu erhöhen. Laut den Kassen fehlen aber bis 2009 insgesamt 17 Milliarden Euro im System, die dann durch Zusatzbeiträge von den Versicherten erhoben werden müssten. Armin Lang, Chef des Ersatzkassenverbands Rheinland-Pfalz, bezeichnet den Fonds als "ökonomisch und sozialpolitisch unsinnig" und als "bürokratisches Monster". Die neue Behörde vernichte bis zu 30 000 Arbeitsplätze bei den Kassen, wenn sie nicht mehr die Beiträge einzögen. Die Kassen würden ihre Finanzhoheit verlieren, kritisiert Lang. Gesundheitsministerin Schmitt tut die Kritik der Kassen als Kampagne ab. Es würden keine Arbeitsplätze vernichtet, schließlich kämen auf die Kassen neue Aufgaben zu. Die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder in den gesetzlichen Kassen soll schrittweise über Steuern finanziert werden. Im Jahr 2008 soll ein Steuerzuschuss von 1,5 Milliarden Euro an die Kassen fließen, 2009 drei Milliarden Euro. Knackpunkt aus Sicht der Kassen: In diesem Jahr erhalten sie noch 4,2 Milliarden Euro aus der Erhöhung der Tabaksteuer, im nächsten Jahr wird dieser Zuschuss auf 1,5 Milliarden gekürzt, unterm Strich verlieren die Kassen also trotz Steuerfinanzierung Einnahmen in Milliarden-Höhe. Im Jahr 2009 stünden sich die gesetzlichen Krankenversicherungen schlechter als heute, sagt auch der Vorsitzende des Sachverständigenrates für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, der Mannheimer Professor Eberhard Wille. Um die Kinderversicherung komplett aus Steuern zu finanzieren, müssten nach Berechnungen von Wille mindestens 13 Milliarden Euro aufgebracht werden. Das Steuermodell könnte auch ein Fall für das Verfassungsgericht werden, wie selbst Regierungsmitglieder einräumen. Es ist bislang nur vorgesehen, dass die Beiträge von Kindern gesetzlich Versicherter teilweise über Steuern finanziert werden sollen, eine Ungerechtigkeit gegenüber Privatversicherten, die ihre Kinder extra versichern müssen. Der Wechsel von gesetzlicher zu privater Krankenversicherung wird verändert. Nur wer drei Jahre ununterbrochen mit seinem Gehalt über der Versicherungspflichtgrenze von derzeit 3937,50 Euro im Monat liegt, kann wechseln. Ärzte sollen künftig für gesetzlich versicherte Patienten genauso viel bekommen wie für Private. Die flächendeckend ambulante ärztliche Versorgung soll erhalten und ausgebaut werden. Vor allem die Krankenhäuser sollen noch stärker ambulant behandeln. Die niedergelassenen Ärzte befürchten allerdings eine Wettbewerbsverzerrung, da sie ihre Honorare alleine aus Kassenbeiträgen erhalten, die Kliniken aber zusätzliche Zuschüsse der Länder. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit der Krankenhäuser mit den niedergelassenen Ärzten verstärkt werden.Kassen-Fusionen sollen erleichtert werden

Um eine Unterversorgung mit Ärzten wie etwa in Teilen der Eifel zu verhindern, besteht künftig die Möglichkeit, Ärzten, die sich in diesen Gebieten niederlassen, einen Zuschlag zum Honorar zu geben. Umgekehrt müssen Mediziner, die sich in überversorgten Gebieten niederlassen, mit einem Abzug rechnen. Damit soll der Bedarf der ärztlichen Versorgung gesteuert werden. Die Fusion von Krankenkassen soll erleichert werden. Bisher war es nicht möglich, dass eine Innungskrankenkasse mit einer Ersatzkasse zusammenging. Dadurch erhofft man sich eine weitere Reduzierung der derzeit 251 Kassen. Außerdem müssen sich künftig alle Kassen für alle Versicherten öffnen. Die Bundesknappschaft oder die Seekrankenkasse darf nicht mehr nur Versicherte aus den jeweiligen Branchen aufnehmen. Alle Krankenkassen müssen Hausarzttarife für ihre Versicherten anbieten. Das Leistungsspektrum der Kassen wird erweitert. Künftig gehören palliativmedizinische Leistungen, Reha-Maßnahmen für Senioren, Mutter-/Vater-Kind-Kuren und Impfungen zum Pflichtumfang der Kassenleistungen.

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