Eine stinkende Angelegenheit

TRIER. Heinrich Kirsch, Stadtratsmitglied der Unabhängigen Bürgervertretung Maximini (UBM), unterhält seit 1985 in Trier das Café Paulin - ohne eine für die gastronomische Nutzung erforderliche Genehmigung. Mitbewohnern im Haus stinkt das gewaltig - im wahrsten Sinne des Wortes. Doch ihre jahrelangen Beschwerden bei der Stadt blieben nahezu folgenlos.

Elisabeth Steilen, gebürtige Triererin, musste in ihrem Leben einige Schicksalsschläge verkraften. Die 83-Jährige trauert noch heute um ihren einzigen Sohn Reinhold, der 1975 bei einem tragischen Autounfall starb. Vor vier Jahren hat sie ihren Mann verloren und lebt seitdem allein in ihrer Eigentumswohnung in der Paulinstraße 99. Sie ist stolz darauf, trotz ihres hohen Alters alle Anforderungen des Alltags selbstständig meistern zu können. Wer die Dame erlebt, kennt den Grund für ihren Tatendrang: Sie ist nicht nur rüstig, sondern verfügt auch über einen wachen Verstand. Witwe beklagt "Vetternwirtschaft"

Noch zu Lebzeiten ihres Gatten hat Elisabeth Steilen einen Kampf begonnen, der sie im Laufe der Zeit wütend gemacht hat. Es ist ein Kampf gegen behördliche Willkür, gegen offensichtliche Rechtsverstöße und nicht zuletzt gegen "Vetternwirtschaft", wie sie sagt. Es ist ein Kampf, dessen Ende noch nicht absehbar ist, wenngleich sich erste Erfolge zeigen. Die Triererin bezog 1984 ihre Wohnung in der Paulinstraße. Ein halbes Jahr später bemerkte sie erstmals unangenehme Gerüche. Eine Zeit lang war nicht ausfindig zu machen, woher der Gestank nach Zigaretten-Rauch und Essenszubereitung stammt, doch eines Tages identifizierte Steilen eher zufällig die Quelle des Übels: Draußen, knapp neben ihrem Balkon, befinden sich versteckt in einer Rinne drei schwarze Löcher. Dabei handelt es sich um eine Entlüftung des unter der Steilen-Wohnung gelegenen Cafés Paulin, das 1985 eröffnet wurde. Immer wieder sprach Elisabeth Steilen den Besitzer des Cafés, UBM-Stadtratsmitglied Heinrich Kirsch, auf diesen Missstand an. Erfolglos. Vor zwei Jahren forcierte sie ihre Bemühungen. Auch Hans Hammes, der ebenfalls in dem Haus wohnt, wurde aktiv. Weder zahlreiche Einwände beim Café-Eigentümer Kirsch noch Anrufe bei städtischen Ämtern noch das Einschalten von Oberbürgermeister Helmut Schröer führten in den vergangenen zwei Jahren zu einer für die geplagten Bewohner des Hauses zufriedenstellenden Lösung. Lebensmittelkontrolleure des Ordnungsamtes inspizierten die Örtlichkeiten ebenso wie Mitarbeiter des Bauaufsichtsamtes. Wie die Verwaltung auf TV -Anfrage mitteilte, seien "in den zurückliegenden 19 Jahren insgesamt 15 Betriebskontrollen" erfolgt. Dabei sei es zu "21 Beanstandungen kleinerer und größerer Art" gekommen. Als Konsequenz der Verstöße seien vier Bußgeldbescheide ergangen. Der Gestank im Haus, für die Anwohner der entscheidende Missstand, wurde jedoch nicht beseitigt. Grund: Laut eines Schreibens des rheinland-pfälzischen Bürgerbeauftragten Ulrich Galle an Elisabeth Steilen vom 2. Februar 2003 hätten kommunale Vollzugsbeamte "keine verwertbaren Verstöße" der in der Gaststätten-Erlaubnis enthaltenen Auflagen feststellen können. Ein merkwürdiger Umstand, denn in einer dem TV vorliegenden Gaststätten-Erlaubnis vom 20. Mai 1997, unterschrieben vom derzeitigen Ordnungsamtsleiter Jörg Elsen, lautete eine Auflage: "Alle Lüftungsanlagen sind so auszuführen, dass Bewohner der Betriebsgrundstücke oder der Nachbargrundstücke nicht durch Lärm oder Geruch belästigt werden. Die gereinigte Abluft ist über Dachfirst ins Freie zu führen ( )." Abluftleitungen "über Dachfirst" sucht man indes bis heute vergeblich. Weil sich nichts Entscheidendes zu Gunsten von Elisabeth Steilen tat, forderte der Bürgerbeauftragte Galle am 9. September 2002 die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord des Landes schriftlich auf, sich die Verhältnisse vor Ort einmal anzusehen. Die Behörde tat dies und stellte fest, dass in der vorhandenen Küche keine volle Speiseabgabe erfolgen dürfe. Begründung: Es fehle eine laut Arbeitsstättenverordnung notwendige lüftungstechnische Anlage. Dies teilte die SGD Nord dem städtischen Ordnungsamt am 4. Dezember 2002 schriftlich mit. Es geschah jedoch weiterhin nichts. Herd ohne Dunstabzugshaube

Im Klartext heißt das, dass im Café Paulin offenbar gegen Vorschriften und Auflagen verstoßen wurde. Denn obwohl es über dem Herd in der Mini-Küche keine für eine gewerbliche Küche vorgeschriebene Dunstabzugshaube mit Filtern gibt, wurde dort nachweislich über einen längeren Zeitraum Essen zubereitet - zwangsläufig musste es im Haus stinken. Was die Mitarbeiter des Ordnungsamtes nicht bemerkten, zeigte das Bauaufsichtsamt mit Schreiben vom 2. Juni 2003 an Kirsch auf: "Eine Auswertung der Baugenehmigungsakten legt die Vermutung nahe, dass Geruchsbelästigungen ( ) ihre Ursache in der Nichteinhaltung von gaststättenrechtlichen Vorschriften haben." Manch' einer hätte den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen die Verwaltung entnervt aufgegeben, nicht aber Elisabeth Steilen. "Ich bin Beamtentochter und -witwe", betont sie mit blitzenden Augen. Die 83-Jährige begab sich zum Rathaus und verlangte Akteneinsicht. Dabei entdeckte sie erstaunliche Dinge, die im Laufe des vergangenen Jahres zu ersten Konsequenzen führten. Am 6. Oktober 2003 bekam Heinrich Kirsch vom Leiter des Bauaufsichtsamtes, Frank Simons, einen Brief, der dem TV vorliegt. Darin wird festgestellt, dass im Café Paulin "die bauliche Ausführung des Erdgeschosses mit Gastraum, Küche und Toilettenanlage den uns vorliegenden genehmigten Bauunterlagen nicht entspricht. Ebenso entspricht die genehmigte Entwässerungsanlage nicht dem heutigen Zustand". Anstatt eines ursprünglich vorgesehenen Verkaufsladens werde ein Café betrieben, heißt es sinngemäß weiter. Die Folgen werden ebenfalls aufgezeigt: "Auf der Basis der vorliegenden Haustechnikplanung besteht die Wahrscheinlichkeit, dass einschlägige Normen, die die Sicherstellung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse zum Inhalt haben, nicht eingehalten sind." Wer nun gedacht hätte, angesichts dieser Erkenntnisse habe Elisabeth Steilen den Kampf um ihr Recht gewonnen, der irrt. Obwohl Heinrich Kirsch aufgefordert wurde, einen Bauantrag mit fehlenden Unterlagen wie einer Betriebsbeschreibung und einer Stellplatzberechnung nachzureichen und damit "rechtmäßige Zustände herzustellen", stinkt es bis heute in der Paulinstraße 99. Elisabeth Steilen stank die Angelegenheit so gewaltig, dass sie sich Anfang dieses Jahres ein zweites Mal Hilfe suchend an den Trierer Oberbürgermeister Helmut Schröer wandte. Schon 2002 hatte sie ihm ihren Fall geschildert. Drohte OB Schröer mit Sex-Shop?

 Café-Besitzer und Stadtratsmitglied: Heinrich Kirsch.

Café-Besitzer und Stadtratsmitglied: Heinrich Kirsch.

Foto: Foto: TV -Archiv/ Josef Tietzen

Am 21. Januar kam es im Büro des OB zu einer bemerkenswerten Besprechung. Den Ablauf dieser Begegnung schildert die alte Dame so: "Herr Schröer hat mich gefragt, ob ich zu einem Kompromiss bereit sei. Er konnte mir jedoch nicht erläutern, worin dieser Kompromiss bestehen soll." Sie habe folglich auf ihrem Recht bestanden, woraufhin der Oberbürgermeister gedroht habe, sie müsse damit rechnen, dass das Café geschlossen werde und eventuell anschließend ein Sex-Shop dort Einzug halte. "Ich war entrüstet, und dann meinte Herr Schröer, das hätte er besser nicht sagen sollen", erinnert sich Steilen. Auf TV -Anfrage räumte der Oberbürgermeister ein, besagte Sex-Shop-Äußerung sei gefallen. Aber: "Eine definitive Ankündigung oder gar Drohung war mit der eher beiläufigen Bemerkung nicht ansatzweise verbunden." Weil die Witwe standhaft blieb und Café-Eigentümer Kirsch trotz einer gegen ihn sprechenden Rechtslage nicht nachgab, landete der Fall beim städtischen Rechtsausschuss, der ihn am Mittwoch, 3. März, verhandelte. Nachdem der TV bei der Verwaltung nachgefragt hatte, bekam Elisabeth Steilen vor wenigen Tagen die Zusicherung, dass die Entscheidung zu ihren Gunsten ausfallen wird. Das bedeutet, dass die Verwaltung nun eine so genannte "Nutzungsuntersagung" durchsetzen wird und damit das Café Paulin in Kürze geschlossen werden könnte. Beendet ist die Angelegenheit damit jedoch nicht zwingend, denn Heinrich Kirsch könnte gegen die Nutzungsuntersagung Rechtsmittel einlegen. Ob er dies tun wird, ließ Kirsch auf TV -Anfrage offen. Er beklagte sich über das Vorgehen der Verwaltung, das er als "Schikane" empfinde. "Das Café wurde am 17. Februar 1985 im Beisein des damaligen Wirtschaftsdezernenten Helmut Schröer eröffnet. Nie hatte die Verwaltung etwas zu beanstanden. Geruchsbelästigungen wurden nicht festgestellt, objektiv gibt es sie nicht. Und trotzdem will man das Café jetzt schließen und damit bis zu vier Arbeitsplätze vernichten."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort